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Interview mit Trautl Brandstaller am 19.12.2022 im Kreisky-Archiv. Transkript Peter Wackerlig.

Steiner

So, jetzt mache ich das mit dem Handy auch noch, also heute ist der 19.12. und wir sind im Kreisky-Archiv für das Interview mit Frau Dr. Brandstaller. Jetzt nehme ich das auch noch auf, damit wir beide Geräte haben. Beim Projekt geht es um den Schwangerschaftsabbruch, als er noch verboten war, also den Schwangerschaftsabbruch vor 1975. Das jährt sich 2025, und solche Jubiläen sind natürlich immer Anlass, um eine kleine Website oder eine Ausstellung zu machen. Jedenfalls haben wir uns gedacht, wir suchen Frauen, die bereit sind, darüber zu sprechen, was gar nicht so einfach ist. Da haben wir zuerst einmal eine Aussendung gemacht. Da haben sich ein paar gemeldet, aber jetzt suchen wir einfach weiterhin Zeitzeuginnen, die uns erzählen können, was es bedeutet, wenn der Schwangerschaftsabbruch verboten ist, was das für Auswirkungen hat und überhaupt ein bisschen zum Zeitgeist. Ich würde sagen, ich lasse Sie einfach reden und stelle dann noch Fragen anhand des Leitfadens. Wie ist es Ihnen lieber?

Brandstaller

Wie Sie es wollen.

Steiner

Ich schau immer, dass ich eher wenig unterbreche, weil es dann mit dem Schneiden blöd ist. Bei den ersten Interviews hab ich zu viel reingequatscht.

Brandstaller

Na ja, ich kann also nur sagen, die Situation bis um 1970 war ziemlich katastrophal. Es gab ja immer noch das offizielle Verbot, das aus dem Jahr 1803, 1804 gestammt hat, und es gab immer noch eine große Zahl Frauen, die bei so einem illegalen Abbruch verletzt worden sind und gestorben sind, und es gab zahlreiche Ärzte, die wegen einer Abtreibung verurteilt worden sind. Zum Beispiel hatte in meiner Klasse eine Mitschülerin einen Vater, der abgetrieben hat, und der kam ins Gefängnis. Das waren also schon noch sehr dramatische Zustände. Ich selber hab keine Erfahrung damit, ich habe nie abgetrieben und ich war eigentlich auch nicht für die Fristenlösung, sondern für die Indikationenlösung, aber wie wir aus der Geschichte wissen, hat es auch gegen die Indikationenlösung immer wieder heftigsten Widerstand vor allem von der Kirche gegeben, da gibt es die berühmten Schreiben der Bischofskonferenz, und dann natürlich auch von der von der Kirche bestimmten und angetriebenen ÖVP, sodass es eigentlich nie zu einer Indikationenlösung kam, obwohl Broda schon in der ersten Koalition, wo er Justizminister war, versucht hat, eine Indikationenlösung durchzubringen. Es gab den Entwurf schon und, wie gesagt, immer wieder Widerstand der Kirche und Widerstand der ÖVP. Diese Indikationenlösung lag auch noch auf dem Tisch, als Kreisky 1970 an die Macht kam. Die FPÖ war für diese Lösung, und dann kam es im Frühling, im April 1972 zu einem Parteitag, der ursprünglich als Ideologieparteitag ausgerufen war. Ich war damals das erste Mal im ORF und bin mit Kollegen Leopoldseder nach Villach gefahren. Wir waren auf sämtliche ideologische Grundsatzfragen aus dem Parteiprogramm vorbereitet, Interviewfragen für Rupert Gmoser und Co. Dann kamen wir hin, und es gab nur mehr zwei Themen, das Thema ORF-Reform und das Thema Fristenlösung. Das hat sich so vollzogen: Es hat sich ja in der Zwischenzeit im Zeitgeist in der Gesellschaft ein Umbruch vollzogen gehabt. In Richtung Fristenlösung gab es das bekannte Bekenntnis im "Nouvel Observateur" von 43 prominenten Frauen. Das ging von Romy Schneider bis Catherine Deneuve und natürlich Simone des Beauvoir, die alle gestanden haben: Ich habe abgetrieben. Alice Schwarzer hat das Ganze dann im "Stern" für Deutschland nachgezogen. Interessanterweise gab es so etwas nicht in Österreich. Da könnte ich Hintergründe erzählen, aber das ist ein anderes Kapitel. Es gab zwar nicht das Bekenntnis prominenter Frauen, aber doch eine Sammlung junger Frauen, die sich sofort mit diesem Thema identifiziert haben und gesagt haben: Das ist eine vorbildliche Aktion, und wir sind jetzt für die Fristenlösung. Diese jungen Frauen, darunter war die Gerti Edlinger, wenn ich mich recht erinnere auch die Eva Kreisky und Irmtraut Goessler-Leirer ...

Steiner

Jetzt Karlsson.

Brandstaller

... die sind in die Bundesfrauenkonferenz eingedrungen und haben dort sozusagen große Referate gehalten und die Frauen umgestimmt. Sehr zentral für das Umschwenken von der Indikationen- auf die Fristenlösung war Dr. Anna Demuth. Die war ganz entschieden, also eine ganz starke Befürworterin und hat de facto die Bundesfrauenkonferenz auf den Kurs Fristenlösung gebracht. Da muss ich auch gewissen Mythen widersprechen: Es war nicht Johanna Dohnal, das stimmt nicht, die war auch nicht auf diesem Parteitag. Es waren diese jungen Frauen, die mit Hilfe von Frau Dr. Anna Demuth die gesamte Bundesfrauenkonferenz auf ihren Kurs gebracht haben. Broda hat das natürlich sofort aufgegriffen und hat auf dem Parteitag eine große Rede für die Fristenlösung gehalten, und die wurde dann dort auch 1972 einmal beschlossen. Ja, was dann folgte, ist an sich ja zum großen Teil bekannt. Kreisky war natürlich dagegen, und zwar aus dem einzigen Grund, weil er sein eben gerade mühsam aufgebautes Verhältnis mit der katholischen Kirche gefährdet sah. Da gab es ja vorher eine lange Reihe von Gesprächen Kirche und Sozialdemokratie et cetera, et cetera, Blecha unter dem Himmel bei Fronleichnam, alle diesen Gesten der Aussöhnung mit der Kirche. Kreisky hat natürlich durchaus zu Recht befürchtet, dass das zu einem größeren Konflikt mit der Kirche führen wird. Zu dem kam es auch. Es gab einen Brief des Kardinals an Kreisky und einen Brief Kreiskys an den Kardinal. Dann gab es das Volksbegehren mit den berühmten über 800.000 Stimmen von Aktion Leben. Das schaute, wie gesagt, eine Zeit lang gar nicht so gut aus, aber, wie gesagt, die SPÖ hatte den Zeitgeist auf ihrer Seite, was sie manchmal in ihren besseren Zeiten hat. So hat sich das durchgesetzt, wobei man kritisch anmerken muss, dass die SPÖ Dinge zugesichert hat, die nicht eingehalten wurden. Zugesichert hat sie Statistiken über den Schwangerschaftsabbruch, zugesichert hat sie, dass der beratende und der durchführende Arzt nicht derselbe sein darf, und zugesichert hat sie drei Tage Abstand (Anmerkung: von der Beratung bis zum Abbruch). Keiner der drei Punkte ist eingehalten worden. Es war sicher ein Versäumnis, dass man nicht festgehalten hat, dass es in jedem Spital einen Arzt geben muss, der es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, eine Fristenlösung vorzunehmen. Das ist sicher ein Manko, denn das hat zu Dingen wie diesen fürchterlichen Abtreibungskliniken geführt, die ja wirklich eine negative Seite dieser ganzen Entwicklung sind. Es sollte nie ein Geschäft daraus werden, es sollte eigentlich auf Krankenkasse in einem Spital durchgeführt werden. Ich glaube, jetzt müssen Sie mich etwas fragen.

Steiner

Wenn ich da gleich einhake: Das Problem ist bis heute, dass ja in den westlichen Bundesländern die Versorgung so schlecht ist, und in Wien, soweit ich das beobachte, gibt es die zwei großen Kliniken, am Fleischmarkt und am Gürtel, diese privaten Institute. Ich weiß gar nicht, wie viel das jetzt kostet. Ihr Appell wäre jetzt sozusagen, die Kostenfreiheit in einem öffentlichen Krankenhaus zu gewährleisten. Das war das Ziel.

Brandstaller

Ja, das ist auch nach wie vor ein Ziel, dann verhindert man eben solche Entwicklungen wie Abtreibungskliniken. Das war nicht im Sinne der Erfinder, weder die jungen Frauen mit der neuen Frauenbewegung noch Broda wollten so etwas. Aber man hat übersehen, dass man eine Verpflichtung in den öffentlichen Krankenhäusern einführen muss.

Steiner

Ja, aber es darf ja kein Arzt gegen seinen Willen gezwungen werden, Abtreibungen durchzuführen.

Brandstaller

Ja, da hätte man eben sorgen müssen, dass es in jedem Spital einen Arzt gibt, der es mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Wie Sie richtig sagen, fehlt das natürlich immer noch in den westlichen Bundesländern. Das ist natürlich immer noch der weiterreichende Einfluss der katholischen Prägung dieser Länder samt ÖVP, die sich natürlich auch gerne auf das Thema draufsetzt. Ich glaube, sie würden sehr gern probieren, so nach dem Modell der USA, aber sie sehen, dass das nicht mehr Mehrheiten bringt. Das Thema ist durch, auch bei konservativeren Frauen. Es ist also nicht so, dass das nur mehr die linkeren sehen, es ist im Grunde akzeptiert, im Grunde auch von den Männern, aber hauptsächlich natürlich von den Frauen. Das ist durchaus ein Erfolg, den die Sozialdemokratie mit ihrer Prinzipientreue erreicht hat. Wie Sie sicher wissen, waren ja schon die Abgeordneten Adelheid Popp und Gabriele Proft im Jahr 1920 mit einem Antrag für die Fristenlösung da. Da hat es sich gelohnt, dass die Partei diesen alten Grundsätzen treu geblieben ist. Wie gesagt, der Konflikt mit der Kirche, der zunächst natürlich hochgekocht ist, hat sich beruhigt, unter anderem auch deswegen, weil die Kirche ihre moralischen Ansprüche verspielt hat. Diese ganzen Missbrauchsgeschichten nehmen der Kirche jedes Recht, sich in irgendwelchen moralischen Fragen, vor allem betreffend die Sexualmoral, zu äußern. Das ist vorbei.

Steiner

Trotzdem muss ich sagen: Das Thema ist nicht durch - es kocht dann ja doch immer wieder hoch, wenn man jetzt nach Polen schaut.

Brandstaller

Ja natürlich, klar, Beispiel USA, Beispiel Polen selbstverständlich. Aber das ist überall dort, wo halt ein betont rechter Kurs eingehalten wird. Das hängt schon immer mit der gesamtpolitischen Konstellation zusammen. Je rechter eine Regierung ist, desto mehr wehrt sie sich gegen die Fristenlösung. Na gut, und Polen ist ja im Grunde ein katholisch-faschistisches Land geworden.

Steiner

Das Problem ist natürlich auch, was man jetzt unter Abtreibungstourismus versteht. Das gab es ja auch in den frühen Siebzigerjahren.

Brandstaller

Ja, jede reiche Frau konnte sich eine Abtreibung finanzieren. Da ist sie in die Nachbarländer gefahren, ohne jede gesundheitliche Gefährdung hat man das passieren lassen. Es gab schon immer den Abtreibungstourismus.

Steiner

Genau, das würde mich jetzt historisch interessieren, denn wenn wir jetzt von Abtreibungstourismus sprechen: Reden wir da von den Siebzigerjahren oder von welcher Zeit reden wir da?

Brandstaller

Vor den Siebzigerjahren.

Steiner

In den Sechzigerjahren also? Können Sie aus der Erinnerung erzählen: Was haben Frauen gemacht, wenn sie ungewollt schwanger waren?

Brandstaller

Ich kannte in meiner Jugend nicht diese reichen Frauen oder reichen Mädchen, die ins Ausland gefahren sind, aber ich hab selber zum Beispiel einer ORF-Kollegin 5.000 Schilling geborgt, damit sie illegal wo abtreiben kann, also in Wien. Das gab es natürlich immer. Es hat auch viel Geld gekostet, weniger als für die ganz Reichen, die ins Ausland gefahren sind, aber es hat auch in Wien relativ viel Geld gekostet. Wie gesagt, ich selber bin keine Betroffene, aber ich hab einer Kollegin Geld geborgt, damit sie das vornehmen kann. Ich hab sie natürlich nicht gefragt, zu welchem Arzt gehst du, dazu war ich zu diskret.

Steiner

Zagreb wird oft erzählt, London auch. Die haben noch Abbrüche gemacht, wenn man über der zwölften Woche war, noch auf sichere Art und Weise durchgeführt. Was sind so die Erinnerungen an Schicksale?

Brandstaller

Na ja, wie gesagt, ich kann nur erzählen, was ich sozusagen selber in meinem eigenen Umfeld erlebt habe, und das war eben eine Mitschülerin, eine sehr begabte und nette Mitschülerin, deren Vater Arzt war. Die hat auf einmal erzählt, ihr Vater muss ins Gefängnis, ihr Vater hat illegal Abtreibungen vorgenommen. Das sind meine persönlichen Erinnerungen. Ich war ja in einer unheimlich bürgerlichen Mittelschule, also Billrothstraße.

(kurzes Gespräch über das Mädchengymnasium)

Brandstaller

Das Mädchengymnasium. Das war ein wahnsinnig bürgerliches Gymnasium, wo ich zunächst Outsiderin war, weil mein Vater kein Akademiker war. Ach, dein Vater ist kein Akademiker? Das hat sowohl meinen Ehrgeiz als auch mein Gefühl für soziale Gerechtigkeit sehr angestachelt. Also denen zeig ich es. Daher ist es nicht sehr oft ... Wie gesagt, der eine Fall ist mir in Erinnerung, sonst habe ich davon eigentlich in der Schulzeit nichts mitbekommen. Während des Studiums begann schon ein bisschen Lockerung. Im Grunde ist ja die ganze Frauenbewegung die beste Frucht, die die 68er-Bewegung hinterlassen hat, das ist das, was geblieben ist. Das war dann wirklich eine ganz starke Geschichte. Das stimmt nicht, wenn da immer geschrieben wird, das war nur ein Lüfterl und so. Es hat sich der Geist von 1968 durchaus in Österreich breit verbreitet, und zwar war in Österreich das Interessante daran, dass es auch katholische Kreise erfasst hat. Etliche CVer und Leute aus der Katholischen Hochschuljugend waren auf einmal vom Geist 1968 erfasst. Das hat es dann durchaus auch der SPÖ erleichtert, den Konflikt mit der Kirche auszuhalten, weil es da bereits auch in der Kirche Spaltungen gab. Auch in der Kirche gab es eine Welle 1968 und die offizielle Hierarchie, und daher hat dieser große Widerstand eben nicht sehr lange angedauert von Seiten Kardinal König und Konsorten.

Steiner

Den Brief haben wir da im Archiv.

Brandstaller

Habt ihr, ja? Ich weiß nicht, haben Sie diese Broschüre? Da ist sowohl der ganze Briefwechsel drinnen ...

Steiner

Die hab ich in der Form noch nie gesehen. Darf ich mir die dann kopieren?

Brandstaller

Ja, ich lese Ihnen da nur etwas vor, was besonders witzig ist, nämlich in Bezug auf Kirche und Widerstand. Da gab es einen Bischof Rusch.

Steiner

Der war in Tirol, in Innsbruck.

Brandstaller

Ja, genau, und hat sich dann fürchterlich geäußert. Die sehr schöne Rede von Broda auf dem Parteitag ist da auch drinnen.

Steiner

Mir hat Irmtraut Karlsson so ein hektographiertes Blatt gebracht, aber das hab ich noch nie gesehen. Ist das von der Löwelstraße herausgegeben worden, oder von wem ist das?

Brandstaller

Das hat der Blecha herausgegeben, das war eine Blecha-Aktion. Da ist der Brief vom Kardinal, das Schreiben von Kreisky an den Kardinal. Wo habe ich jetzt den Rusch?

Steiner

Der war Bischof in Innsbruck, wenn ich das richtig in Erinnerung hab.

Brandstaller

Ja. Ja, das ist es: Bischof Rusch hat laut "Presse" vom 24. April 1972 behauptet, die „Parteitagsbeschlüsse von Villach könnten der Rebarbarisierung nur dienlich sein. Österreich drohe die Gefahr, dass es vom Osten überflutet und geknechtet werde, denn die Völker des Ostens haben mehr Kinder als wir.“ (Lacht.) Das ist schon eine starke Nummer. Das können Sie sich gerne kopieren, hierlassen möchte ich es lieber nicht.

Steiner

Nein, Originale niemals aus der Hand geben, sage ich immer.

Brandstaller

Das hat der Blecha zusammenstellen lassen, glaube ich, so in Eigenregie. Es ist leider keine Jahreszahl dabei, das hasse ich immer besonders bei Publikationen.

Steiner

Aber es ist hier im Haus gedruckt worden, also muss es zumindest vor 85 sein.

Brandstaller

Ja, auf jeden Fall, nein, nein, es war mitten in der Debatte. Es war ein Beitrag zur Debatte, es muss 73, 74 gewesen sein. Der Juli 75, oder wann das war, kommt noch drinnen vor, es war also so eine abschließende Zusammenfassung der Debatte pro und kontra.

Steiner

Super. Darf ich das kurz meinem Kollegen geben, damit er es einscannt?

(Kurze Pause).

Steiner

Weil Sie gesagt haben, auch in der katholischen Kirche gab es schon Erosionsbewegungen: Ich stelle es mir ja auch recht schlimm für die Männer vor, wenn aufgrund einer Schwangerschaft geheiratet werden musste. Das dürfte, aus den Erzählungen zumindest, ein sehr häufiges Erlebnis gewesen sein.

Brandstaller

Das ist sehr oft passiert, das ist sehr, sehr oft passiert, ja, ja, auf jeden Fall. Wie gesagt, ich kann da nicht mit eigenen Erfahrungen aufwarten, denn ich war zwar auch mit einem katholischen Studenten liiert, und zwar quasi verlobt und so, aber wie der Holl das formuliert hat, es kam nie zum Äußersten. (Lacht.) Den Holl find ich ja sehr gut. Ich hab ja den dann verlassen, weil ich diese ganzen verkrampften Einstellungen, die es da auch zur Sexualität gab, nicht ausgehalten hab. Aber das ist sehr oft passiert, man musste heiraten. Das kam sehr oft vor. Was auch noch vielleicht wichtig ist, es gab damals natürlich schon ab 1970 erste Journalistinnen, die da durchaus auch Kolumnen hatten und eigentlich das Anliegen unterstützt haben. Das war die Hammerl im "Kurier", und dann gab es die Marga Swoboda, die kam erst ein bisschen später, in der "Krone". Wer fällt mir noch ein?

Steiner

Ich glaube, Elisabeth Spira hat auch einmal einen "Prisma"-Beitrag gemacht.

Brandstaller

Nein, "Prisma" war ich, sie hat keinen "Prisma" ... Sie hat einmal Aktion Leben. Aktion Lüge, so etwas, gemacht.

Steiner

Das hab ich einmal in einer Dokumentation gesehen, wo es um das Thema ging, auch diese Angst, überhaupt schwanger zu sein.

Brandstaller

Ich weiß jetzt nicht, ob das bei "Prisma" war oder ob das eine eigene Doku war, aber ich hab natürlich das Thema auch aufgegriffen, aber das war ja schon später. Ich hab "Prisma" ab 1976 gemacht und hab dann schon auch dramatische Fälle geschildert. In Tirol hat eine Frau schon, weiß ich, drei Kinder gehabt und wollte das vierte aus sozialen Gründen halt nicht. Das wurde ein großer Skandal. Ich hätte damals ja gar nicht drehen dürfen. Man musste sich immer beim Landesstudio melden, wenn man außerhalb von Wien gedreht hat. Ich habe mich eh brav gemeldet.

Steiner

Aber was war der Skandal?

Brandstaller

Na, der Skandal, dass darüber berichtet wird. Das war der Skandal. Da gab es in Tirol irgendeinen besonders unangenehmen Menschen namens Prior. Der hat mich immer als Hexe bezeichnet, die da auf einmal nach Tirol kommt und Aufruhr stiftet, denn ich hab natürlich die Frau in Schutz genommen und die durfte bei mir natürlich auch Stellung nehmen. Da hat sich also der Herr Prior ganz ungeheuer aufgeregt. Das war alles, auch der Beitrag von der Spira hat Aufregung gestiftet. Die hat sich damals hauptsächlich mit dem Volksbegehren beschäftigt, also diese Aktion-Leben-Geschichte. 800.000 war ja keine geringe Zahl von Unterschriften, die die gesammelt haben. Es haben sich aber dann diese Spannungen wirklich sehr schnell gelöst. Wie gesagt, mein größter Triumph war ja, wie die "Kronen Zeitung" auch eine Frauenkolumne gemacht hat. Das war Marga Swoboda, die ja sehr vernünftige Ansichten hatte und sehr gut war. Während der Staberl bei jedem "Prisma" auf mich hingehaut hat, hat die "Kronen Zeitung" eingesehen: Hoppla, jetzt muss man irgendwie die Kurve kratzen.

Steiner

Man hat auch beide Kolumnisten leben lassen, sie und ihn.

Brandstaller

Staberl und Swoboda. Aber der Dichand war natürlich schlau genug, zu sehen: Hoppla!

Steiner

Ist eigentlich eine gute Strategie, man gibt beiden Platz.

Brandstaller

Ja, ja, durchaus. Die Hetze gegen mich hat sich ja aufgehört, wie ich geheiratet hab, woran durchaus auch der Staberl schuld war, denn ich hab mit dem Keller jahrelang schon monogamst zusammengelebt. (Lacht.) Der Staberl hat immer geschrieben, ich bin das Politpanscherl vom Keller. Dann haben wir also geheiratet. Sie haben immer am Sonntag die Kolumne gegen mich geschrieben und am Sonntag nach der Hochzeit haben sie geschrieben, die Hochzeit des Jahrtausends. (Lacht.) Nicht dass Sie glauben, Caroline von Monaco oder so, sondern stellen Sie sich die Brandstaller im weißen Kleidchen vor. Also richtig blöd. Es war so überzogen, mich haben Leute auf der Straße angesprochen, haben gesagt: Kränken Sie Ihnen nicht. Das ist ja nur ein Blödsinn, wenn der gegen Ihre Heirat und so. Kränken Sie Ihnen nicht! Ich bin wirklich angesprochen worden. Irgendwie hat der Dichand da kapiert, das war überzogen. Da hat dann die Polemik gegen mich aufgehört, und die Swoboda kam. Geheiratet hab ich 1978 und ich glaube, die Swoboda gab es seit 1979 oder 1980, das weiß ich jetzt nicht so genau. Das war sehr lustig, ja. Selbst der Dichand und selbst der schlimmste Boulvard haben damals eingesehen, das Anliegen ist in der Gesellschaft durch, und daher können wir nicht gegen eine hetzen, die das im ORF vertritt. Aber der Dichand war ja nicht blöd.

Steiner

Ich denke mir auch, es muss ja auch im Interesse der Männer gelegen sein, dass zumindest einmal eine Liberalisierung schon auch für die Männer gewisse Verpflichtungen wieder wegnimmt.

Brandstaller

Nein, da muss man natürlich bitte ehrlicherweise auch dazusagen, dass es – ab wann? – die Pille gab. 64, glaube ich?

Steiner

Es war unterschiedlich, in Wien ist sie relativ leicht verschrieben worden, in Tirol eine Zeit lang nur verheirateten Frauen. Die Geschichte mit Tirol interessiert mich noch, mit der Sendung mit der Bäuerin, die das vierte Kind nicht haben wollte. Was war da?

Brandstaller

Ich müsste nachschauen, wann das genau war, das könnten Sie sich dann im ORF bestellen. Ich habe leider nicht alle meine Sendungen zu Hause, aber man kann das ...

Steiner

Was war der große Skandal, dass die Frau gesagt hat ...

Brandstaller

Na, dass eine brave Tirolerin sagt, das vierte Kind will ich nicht mehr. Das war der Skandal, und sie hat ja, glaube ich, eben in Tirol keinen Arzt gefunden, der es macht. So genau hab ich das jetzt nicht mehr in Erinnerung.

Steiner

Und hat sie es dann gekriegt oder ist sie woanders hingefahren?

Brandstaller

Meiner Erinnerung nach ist sie woanders hingefahren, aber das kann ich jetzt nicht beschwören.

Steiner

Darf ich noch, weil wir ja von Zeiten sprechen, wo die Aufklärung auch nicht so „in“ war: Haben Sie noch Erinnerungen über Sexualaufklärung beziehungsweise über das Leben von Zyklus zu Zyklus? Da gibt es ein schönes Zitat: Neuer Zyklus, neue Hoffnung, also dass die Frauen so unheimlich erleichtert waren und von Blutung zu Blutung gehofft haben. Wie ist da Ihre Wahrnehmung gewesen?

Brandstaller

Na ja, diese ganz große Bedeutung der Menstruation sehe ich nicht. Wir haben das damals ... Ja, ich habe immer unheimliche Schmerzen gehabt, aber das hat alles etwas mit Psychologie zu tun gehabt. Die Schmerzen waren weg, als ich das erste Mal in Frankreich war und wie ein freier Mensch gelebt habe, mit einem eigenen Zimmer und eigener Zeiteinteilung. Da waren meine Schmerzen weg. Aber Sie haben jetzt ein wichtiges Stichwort gesagt, was durchaus bis heute eine große Rolle spielt, das ist die mangelnde Sexualaufklärung. Wir sind natürlich alle nicht aufgeklärt worden. Ich weiß nicht, ich hab mir das aus irgendwelchen Büchern zusammengesucht. Meine Mutter hat mich nicht aufgeklärt, weil sie selber auch nicht aufgeklärt war. Das ist, glaube ich, allen so gegangen, also die Wenigsten sind damals von zu Hause aus aufgeklärt worden. Man hat sich so seine Sachen zusammengesucht. Darum hat ja damals dann, wie hat der geheißen, Kolle ...

Steiner

Oswald Kolle.

Brandstaller

... so einen großen Erfolg gehabt mit seiner Pseudoaufklärung. Was nach wie vor wirklich überhaupt nicht funktioniert, da muss ich auch sagen, ich find das unheimlich schlecht, dass die SPÖ sich da nicht wirklich einmischt. Ich hab schon damals in "Prisma" Beiträge über mangelnde Sexualaufklärung in der Schule gemacht und hab so witzige Beispiele gebracht: Man redet da nur über die Bienen und das Bestäuben und so, aber von wirklicher Sexualaufklärung keine Rede. Dass es jetzt noch immer nicht ein offizielles Fach Sexualaufklärung oder meinetwegen Genderaufklärung, wie immer, Geschlechtsaufklärung, gibt, finde ich eine wahnsinnig schlimme Geschichte, denn es bietet ja offene Tür für alle möglichen Vereine. Ich habe mit Erstaunen gelesen, alle möglichen Vereine machen in den Schulen ihre Kurse. Das ist ja verrückt, bitte.

Steiner

Das sollte fächerübergreifend sein, so wie ich das verstanden habe. Seit 1970 steht es im Gesetz.

Brandstaller

Ja, sollte. Meine Tochter hat das auch nur ganz, ganz schwach am Rande des Biologieunterrichts gehabt. Ich meine, vielleicht ein bisschen moderner als die Bienchen, aber eine ordentliche Sexualaufklärung war das auch nicht. Da gehört natürlich auch Geschichte der Frauenbewegung dazu. Wann hat das angefangen? Wie haben sich die Frauen in der Gesellschaft positioniert? Wo waren die Rückschläge? Was hat der Faschismus bedeutet? Das gehört ja dazu, bitte. Das findet de facto nicht statt.