Jugend Politik Protest > Zwischenkriegszeit: Radikalisierung und Polarisierung

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Epoche der politischen Radikalisierung: Demokratie und Politik in der Zwischenkriegszeit

Während der Ersten Republik war die politische Landschaft von drei konkurrierenden politischen Lagern geprägt, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt hatten. Parteien formierten sich als politischer Ausdruck dieser Lager: Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), die Christlichsoziale Partei (CS) und die Großdeutsche Volkspartei (GDVP) entsandten Abgeordnete ins Parlament.
Nicht nur die Politik, auch andere Lebensbereiche waren von den politischen Lagern mit eigenen Kultur- und Sportvereinen, eigenen Zeitschriften und Zeitungen geprägt: So gab es auch für Kinder und Jugendliche jeweils verschiedene, den Parteien nahestehende Organisationen. Diese boten den Rahmen für gemeinsame Aktivitäten und eine organisierte Form der politischen Partizipation.
Die schlechte wirtschaftliche Lage, hohe Inflation und Arbeitslosigkeit brachten den verschiedenen Wehrverbänden viel Zulauf, die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre radikalisierte die Gesellschaft weiter: Im deutschnationalen und im christlich sozialen Lager wurden die Heimwehren einflussreicher, ihnen stand auf sozialdemokratischer Seite der Republikanische Schutzbund gegenüber.
Politische Gewaltausbrüche begleiteten die letzten Jahre der Ersten Republik: Tote bei Demonstrationen im burgenländischen Schattendorf, Justizpalastbrand, politischer Terror der stärker werdenden Nationalsozialisten und die Ausschaltung des Parlaments führten schließlich zum Bürgerkrieg vom Februar 1934, zur Auflösung und zum Verbot aller politischen Organisationen, die nicht der Regierungspartei nahestanden, sowie dem Ende der demokratischen Republik. An ihre Stelle trat der autoritäre „Ständestaat“ unter den Bundeskanzlern Dollfuß und Schuschnigg.

Die Sozialistische Arbeiterjugend

Neben den Roten Falken war in den 1920er Jahren die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) die wichtigste sozialdemokratische Jugendorganisation. Der Mitgliederhöchststand belief sich im Jahr 1923 auf etwa 38.000. Wie die Partei war die Sozialistische Arbeiterjugend in Bezirksgruppen organisiert und verfügte über eine eigene Monatszeitung, den Jugendlichen Arbeiter. Die oberste Aufgabe der proletarischen Jugendorganisation war die „Erziehung der Arbeiterjugend zu Klassenkämpfern“.

Zum Beispiel Bruno Kreisky: Engagement in der Sozialistischen Arbeiterjugend

Bruno Kreisky selbst nahm im Alter von 13 Jahren am 8. November 1924 zum ersten Mal an einer Demonstration teil. Die Vereinigung sozialistischer Mittelschüler organisierte an diesem Tag eine Protestkundgebung vor dem Gebäude des Wiener Stadtschulrats, nachdem sich ein Schüler wegen Quälereien seines Lehrers aus dem Fenster gestürzt hatte.
Kurz darauf trat Kreisky der Vereinigung sozialistischer Mittelschüler bei, wo er aufgrund seines Alters zuerst zum sozialistischen Wanderbund kam. Dort genoss Kreisky, wie er später in seiner Autobiografie schrieb, Gemeinschaft, Geborgenheit und das Gefühl, „einer großen, irgendwie auch politischen Aufgabe zu dienen.“
Geprägt von den Eindrücken der Ereignisse am 15. Juli 1927 vor dem Justizpalast in Wien, beschloss der 16-jährige Bruno Kreisky, der Sozialistischen Arbeiterjugend beizutreten. Nach Anfangsschwierigkeiten — Kreisky erntete wegen seiner bürgerlichen und intellektuellen Herkunft Misstrauen — wurde er in seinem Heimatbezirk Wieden zum 3. Obmannstellvertreter gewählt. Neben seiner Aufgabe, weitere Jugendliche im Bezirk für die politische Arbeit anzuwerben, las Kreisky viele politische Schriften zum Sozialismus und beteiligte sich an Diskussionsrunden und dem Sprechchor.

Internationales sozialistisches Jugendtreffen in Wien

Im Juli 1929 fand in Wien das 2. internationale sozialistische Jugendtreffen statt, das mit 50.000 TeilnehmerInnen aus dem In-und Ausland einen Höhepunkt in der Tätigkeit der Sozialistischen Arbeiterjugend darstellt. Auch Bruno Kreisky war bei der Vorbereitung des Großereignisses engagiert. Soeben die Matura bestanden, half der 18-Jährige in der Zentrale der Jugendorganisation mit, die Ankunft von tausenden Jugendlichen, die mit Sonderzügen nach Wien anreisten, zu koordinieren.

Das Jugendtreffen blieb ihm und vielen anderen SozialdemokratInnen seiner Generation als wichtige Erfahrung in Erinnerung und verhalf Kreisky aufgrund seines Engagements und der Kontakte, die er zu dieser Zeit knüpfen konnte, zum politischen Aufstieg. 1933 wurde er Vorsitzender des Reichsbildungsausschusses und damit verantwortlich für „die politische und kulturelle Erziehung der Sozialistischen Arbeiterjugend“. Diese Funktion nützte er, zahlreiche Aktivitäten wie Diskussionsveranstaltungen, Seminare und so genannte Sommerschulen zu organisieren, beispielsweise die Sommerkolonie in Traismauer 1933, wo die jugendlichen TeilnehmerInnen sich mit den Themen „Weltwirtschaft, Arbeiterklasse, Materialistische Geschichtsauffassung“ befassten und in der Landwirtschaft mithalfen. Der gemeinschaftliche und gleichberechtigte Aspekt aller Tätigkeiten stand dabei im Vordergrund.

Verbot der SAJ — politische Arbeit im Untergrund

Etwa ein halbes Jahr danach, nach den Februarkämpfen 1934, wurde unter dem austrofaschistischen Regime die Sozialistische Arbeiterjugend, ebenso wie alle anderen sozialdemokratischen Organisationen, verboten. Gemeinsam mit anderen JungfunktionärInnen leistete Kreisky auch danach politische Arbeit im Untergrund. Unter höchster Gefahr organisierte er illegale Treffen und Kundgebungen und beteiligte sich an der Verteilung von Flugblättern. Am 30. Jänner 1935 wurde der nun 24-Jährige, wie zahlreiche führende Funktionäre vor ihm, wegen des Verdachts des Hochverrats verhaftet.
Er verbrachte 16 Monate im Wiener Polizeigefangenenhaus und begann nach fünf Monaten in Haft, ein Tagebuch zu schreiben, in dem er Reflexionen über die politische Arbeit und die Erfahrungen in der Haft niederschrieb.
In Reih und Glied: Jugendbewegung im Austrofaschismus und Nationalsozialismus
Das Regime des autoritären „Ständestaats“ verbot sämtliche politische Oppositionsbewegungen. Das betraf nicht nur die Jugendorganisationen der Kommunisten und Sozialdemokraten, sondern auch die der Nationalsozialisten. Die Hitlerjugend (HJ), die in Deutschland bereits seit der Machtübernahme der NSDAP 1933 als „Staatsjugend“ fungierte, existierte während dieser Zeit in Österreich illegal und wurde aus Deutschland unterstützt. Ihre Mitgliederzahl belief sich in den 1930er-Jahren auf ca. 3.000 bis 4.000 Jugendliche.

Die austrofaschistische Regierung gründete 1936 eine österreichische Staatsjugendorganisation. Das österreichische Jungvolk (ÖJV), das ca. 130.000 Jugendliche organisierte, entstand aus dem Zusammenschluss mehrerer als „staatstreu“ geltender Jugendorganisationen. Von den Aktivitäten ähnlich den ursprünglichen Organisationen (Sport, gemeinsame Ausflüge, Gesang etc.), unterschied sich das österreichische Jungvolk durch autoritäre Führung und die Aufgabe, die österreichischen Jugendlichen „zu geistig und körperlich tüchtigen Menschen und vaterlandstreuen Staatsbürgern im Sinne der Zielsetzung der Vaterländischen Front heranzubilden“.

Mit der von weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung als „Anschluss“ begrüßten militärischen Okkupation Österreichs durch die deutsche Wehrmacht im März 1938 erhielten auch die bisher illegalen Gruppen der österreichischen Hitlerjugend Macht. Neben der Umsetzung des zuvor propagierten aggressiven Verhaltens gegen die jüdische Bevölkerung und politische GegnerInnen wurden innerhalb kürzester Zeit die Zentrale, die Heime und die Sportstätten des Österreichischen Jungvolks von der Hitlerjugend übernommen. Die österreichischen Jugendlichen wurden in die nationalsozialistischen Jugendorganisationen — die Hitlerjugend (HJ) und den Bund deutscher Mädel (BDM) — eingegliedert. Burschen erhielten in der Hitlerjugend eine paramilitärische Ausbildung und wurden auf diese Weise auf den späteren Kriegsdienst vorbereitet. Eine weitere Institution zur weltanschaulichen Erziehung von jungen Männern und Frauen zwischen 17 und 25 Jahren war der Reichsarbeitsdienst (RAD).

Die nationalsozialistische Partei präsentierte sich als „junge“ Bewegung. Die Propaganda betonte stets die „Jugendlichkeit und die Zukunftshoffnung“ des Regimes, und auch in den Inszenierungen der Reichsparteitage dominierte das Bild von jungen Menschen.
Das und der durch die Aufrüstung bedingte Wirtschaftsaufschwung weckte bei den in der Zwischenkriegszeit von Arbeitslosigkeit betroffenen Jugendlichen, soweit sie nicht jüdisch waren, Hoffnung. Die Rüstungsbestrebungen und die ideologische Ausrichtung des Regimes blieben dabei meist unbeachtet. Die Gruppen der HJ und des BDM waren zwar streng reglementiert, sie boten aber Jugendlichen aus allen sozialen Schichten aber die Möglichkeit zur sportlichen Betätigung oder der Teilnahme an Ferienlagern und erzeugten somit trotz der repressiven Mechanismen ein starkes Gemeinschaftsgefühl.
Kennzeichnend für diese Gemeinschaft war der Ausschluss und die Diskriminierung von Jugendlichen jüdischer Herkunft, Roma sowie politisch anders Denkender. Der Rassismus der Nationalsozialisten orientierte sich am Begriff des „Blutes“. Kinder und Jugendliche jüdischer Abstammung und jugendliche Roma waren nicht nur aus der Jugendorganisation ausgeschlossen, sie wurden von Schulen und Universitäten verwiesen, verloren ihren Arbeitsplatz und wurden darüber hinaus diskriminiert, verfolgt, vertrieben und ermordet. Ein ähnliches Schicksal hatten jene, die aufgrund einer Behinderung oder einem von der „Norm“ abweichenden Verhalten als „minderwertig“ galten und in Fürsorgeerziehungsanstalten, psychiatrische Anstalten oder Jugendkonzentrationslager gebracht wurden, wo sie oft zu Tode kamen.

Jugendlicher Widerstand

Es gab auch Jugendliche, die sich den nationalsozialistischen Jugendgruppen entzogen und eine kritische Haltung zum Regime einnahmen.
Ein Beispiel für jugendliche Opposition waren die Schlurfs. Diese meist aus der Arbeiterklasse stammenden männlichen Jugendlichen widersetzten sich mittels Kleidung, Frisur, Körperhaltung und Lebensstil dem soldatischen Männlichkeitsbild der Nationalsozialisten. Sie trugen betont elegante Kleidung, die Haare vergleichsweise lang und pomadisiert und veranstalteten heimliche Tanzabende, wo die damals verbotene Swing-Musik gespielt wurde. Obwohl die Schlurfs keinen politischen Widerstand leisteten, stigmatisierte das Regime die Jugendbewegung als bedrohlich.

Darüber hinaus gab es junge Menschen, die sich bewusst für die politische Opposition entschieden. Jugendliche aus unterschiedlichsten politischen Lagern, aus der kommunistischen Jugend ebenso wie aus dem katholischen oder sozialdemokratischen Umfeld, leisteten durch die Organisation von Treffen und die Verteilung von Flugzetteln Widerstand. Viele von ihnen gerieten in die Fänge der Gestapo und der NS-Justiz und wurden ungeachtet ihres jugendlichen Alters verfolgt, verhaftet und hingerichtet.

Auch Bruno Kreisky, der 1936 seine illegale politische Tätigkeit bei der Revolutionären Sozialistischen Jugend wieder aufnahm, wurde drei Tage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 15. März 1938 von der Gestapo verhaftet. Ein halbes Jahr später, im August 1938, wurde er mit der Auflage, das Land zu verlassen, aus der Haft entlassen. Mit der Einladung des Führers der schwedischen Jungsozialisten gelang Kreisky der Weg ins Exil nach Schweden, von wo er erst 1951 wieder endgültig nach Österreich zurückkehrte.