Vor der Fristenregelung

Plakat 1926 Plakat 1926 Plakat 1975 Plakat 1975 Flugblatt vor 1973 Flugblatt vor 1973

ODER: ALS ABTREIBUNG EIN VERBRECHEN WAR


Bis zum 31.12.1974 galt der Schwangerschaftsabbruch in Österreich laut Strafgesetzbuch als Verbrechen. Frauen, die dennoch Abtreibungen durchführten oder durchführen ließen, riskierten ebenso wie Personen, die ihnen dabei halfen, Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren. Laut Schätzungen wurden zwischen 1945 und 1974 österreichweit jährlich 100.000 bis 300.000 illegale Abtreibungen durchgeführt.

Die Praxis dieser Abtreibungen war sehr unterschiedlich und reichte von medizinisch äußerst gefährlichen Eingriffen (nicht selten mit tödlichem Ausgang) bis hin zu fachgerecht durchgeführten Operationen. Mitentscheidend waren oft der soziale Status und die finanziellen Mittel der betroffenen Frauen. Aus Furcht vor Strafverfolgung wurde das Wissen und die Erfahrungen rund um Praktiken, sozialen Netzwerke und Schwierigkeiten der Abtreibung vor 1975 kaum weitergegeben, selten erzählt und schon gar nicht aufgeschrieben.

Das vorliegende Projekt untersucht die Grauzone um den Schwangerschaftsabbruch in Wien anhand zweier unterschiedlicher Zugänge: Einerseits wurden die im Wiener Stadt- und Landesarchiv befindlichen Akten der Strafgerichte I und II ausgewertet. Exemplarisch für die Praxis der Strafverfolgung von Abtreibungen wurden drei Fälle ausgewählt, die vor Gericht kamen: Das Verfahren gegen eine Hebamme im Jahr 1946, der Skandal rund um das Wiener Privatsanatorium Auersperg, der 1955 für Schlagzeilen sorgte und der Prozess gegen einen Gynäkologen und 53 seiner Patientinnen im Jahr 1967.

Andererseits wurden oral history Interviews mit Zeitzeuginnen durchgeführt, in denen Frauen über ihre Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen, über die fehlende Sexualaufklärung und mangelnde Verhütungsmethoden vor 1975 berichten. Die Folgen einer unerwünschten Schwangerschaft waren für die betroffenen Frauen oft existenzbedrohend (erzwungener Abbruch ihrer Ausbildung, verfrühte Heirat, Stigmatisierung als uneheliche Mütter). Den Frauen sei an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Bereitschaft und ihre Offenheit gedankt.

In den weiteren Kapiteln geht es um die Entwicklung der gesetzlichen Voraussetzungen, die öffentliche Diskussion, die Verhütung und die Praxis des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Einführung der Fristenlösung, nach der die Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei gestellt wurde.

Die Umsetzung dieser Webversion wurde gefördert von der Stadt Wien Kultur.