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Das Vorwärts-Haus in der Rechten Wienzeile 97, nahe der „Ringstraße des Proletariats“ gelegen, ist ein Wahrzeichen des 5. Wiener Gemeindebezirks, dessen Geschichte wesentliche Entwicklungen der österreichischen Partei- und Pressepolitik aufzeigt. Anhand von Quellen aus dem Archiv der Wiener Baupolizei (MA 37, ehemaliges Stadtbauamt), dem Österreichischen Staatsarchiv, der Österreichischen Mediathek, dem Bezirksmuseum Margareten, der Österreichischen Nationalbibliothek, dem Kreisky-Archiv und dem Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung wurde eine kommentierte Chronologie zur Geschichte des Hauses erarbeitet. Sie ist in drei Unterkapitel gegliedert: Das erste Kapitel beschreibt die Errichtung des Gebäudes als Druckerei und Verlagshaus und seine Rolle als Parteizentrale der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in der Ersten Republik. Im zweiten Kapitel geht es um die Druck- und Verlagsanstalt vom Verbot der Sozialdemokratischen Partei im Februar 1934 bis zum Abbruch der Druckerei 1988.
Der Bau des Hauses wurde 1907 von der Parteileitung der SDAP beschlossen. In der Ersten Republik wurden neben der täglich erscheinenden „Arbeiter-Zeitung“ auch sozialdemokratische Wochenzeitschriften, Plakate, Broschüren und Bücher gedruckt. Bis zum Februar 1934 wurde in diesem Haus Politik aber nicht nur kommentiert, sondern auch gemacht: Das Hauptgebäude diente bis zum Verbot der SDAP als Sitz der Parteizentrale. Das „Herz und Hirn“ der Partei, wie das Haus genannt wurde, gilt bis heute als Wahrzeichen der österreichischen Sozialdemokratie.
Am 12. Februar 1934 kam es in mehreren österreichischen Städten nach Hausdurchsuchungen in Einrichtungen der SDAP, die vom autoritären „Ständestaat“ unter Bundeskanzler Dollfuß angeordnet worden waren, zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Bundesheer und Heimwehr auf der einen und dem Republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite. Heimwehr und Bundesheer konnten die Kämpfe militärisch für sich entscheiden. Die SDAP wurde verboten, aufständische Schutzbündler wurden hingerichtet. Einige prominente Sozialdemokraten wie Otto Bauer und Julius Deutsch flohen in die Tschechoslowakei, andere wurden inhaftiert. Der Vorwärts-Verlag, die dazugehörige Volksbuchhandlung in der Pilgramgasse 11 und das Parteiarchiv wurden beschlagnahmt und das Vermögen der dort ansässigen sozialdemokratischen Organisationen konfisziert. Der„Vorwärts“-Verlag selbst wurde nicht aufgelöst, sondern umfunktioniert: Bis zum „Anschluss“ am 12. März 1938 wurden Zeitungen und Broschüren für den austrofaschistischen „Ständestaat“ produziert und gedruckt. In der Folge bedienten sich auch die Nationalsozialisten der damals hochmodernen Druckerei. Im Nationalsozialismus wurden jüdische Redakteure und Redakteurinnen mit Berufsverbot belegt, in die Emigration getrieben, gingen in den Widerstand oder wurden ermordet. Das Vorwärts-Gebäude blieb im Zweiten Weltkrieg von Bombardierungen verschont. Am 5. August 1945 erschien nach elfjähriger Unterbrechung erstmals wieder die „Arbeiter-Zeitung“ (AZ). Bis 1955 war sie die auflagenstärkste Zeitung Österreichs. In den 1970er Jahren ging die Ära der Zentralorgane politischer Parteien jedoch ihrem Ende zu. Die AZ wurde noch bis 1985 im Vorwärts gedruckt. Nach finanziellen Schwierigkeiten durch sinkende Abonnentenzahlen und ausbleibende Inserate wurde die AZ schließlich 1991 endgültig eingestellt.
Das heute noch erhaltene Haupthaus mit seiner charakteristischen Fassade, der Uhr am Dachgiebel, dem original erhaltenen Eingangsbereich und dem Parteivorstandszimmer wurde 1988 unter Denkmalschutz gestellt. Die Druckerei im Innenhof und die beiden angrenzenden Häuser wurden vollständig abgerissen, an ihrer Stelle steht heute ein Hotel. Seit 1989 dient das Vorwärts als Forschungs- und Studienzentrum, in dem das Kreisky-Archiv, das Johanna Dohnal Archiv und der Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung untergebracht sind. Das Haus bildet den Ausgangspunkt zahlreicher geführter Stadtrundfahrten und -spaziergänge zur Geschichte des „Roten Wien“.