Neue soziale Bewegungen
Unter „neuen sozialen Bewegungen“ versteht man gesellschaftliche Strömungen und Gruppierungen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, die, angeregt durch die politische StudentInnenbewegung 1968, außerhalb des etablierten Parteien- und Institutionssystems politische Agenden verfolgten. Mit verschiedenen Formen der außerparlamentarischen Opposition wie Demonstrationen, Petitionen, Versammlungen und Informationsveranstaltungen sollten bestimmte politische, gesellschaftliche, kulturelle oder ökonomische Reformen in Gang gesetzt, verhindert oder in ihrer Entwicklung beeinflusst werden. Die neuen sozialen Bewegungen agierten, je nach Anliegen und Größe der Bewegung, sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene.
Überschneidungen und Parallelen
Die im Folgenden beschriebenen Bewegungen sind keinesfalls als voneinander losgelöst zu betrachten. Bei den Protesten gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf Ende der 1970er-Jahre, der Friedensbewegung und der Besetzung der Hainburger Au Anfang und Mitte der 1980er-Jahre in Wien sind nicht nur personelle Überschneidungen und Parallelen in der Haltung der Regierung gegenüber zu beobachten. Es gab auch Kontinuitäten und gemeinsame Forderungen – wie z. B. den Verzicht auf die friedliche Nutzung der Kernkraft und eine grundsätzliche Abkehr von der Idee der staatlichen Kontrolle und Ausbeutung von Mensch und Natur. In allen drei Fällen haben sich Initiativen aus unterschiedlichen Lagern zusammengefunden. Teilweise erhielten sie auch von etablierten Organisationen Unterstützung. Auch die (körperliche) Inanspruchnahme des öffentlichen Raumes für Protestkundgebungen, Demonstrationen oder Besetzungen war Bestandteil aller drei Bewegungen.
Formen des Protests
Die wichtigste Gemeinsamkeit zeigt sich in Form und Entwicklung dieser neuen sozialen Bewegungen. Aus den Protestaktionen und Veranstaltungen kleiner, regionaler (Jugend-)Initiativen, die – meist in Opposition zur Regierung – auf eine Bewusstwerdung und Identifikation in der Mehrheit der Bevölkerung abzielten, entwickelten sich im Laufe weniger Jahre bzw. Monate große, heterogene Bewegungen, die das Interesse der Medien erregten und damit auch breite öffentliche Debatten auslösten. Die oppositionelle Haltung zu den Vorhaben der Regierung bewirkte auch eine parlamentarische Auseinandersetzung. Auch die Jugendorganisationen der Parteien – insbesondere die Sozialistische Jugend – waren oft Teil der Bewegungen. Die Aktivitäten „Anti-Zwentendorf-Bewegung“ und Besetzung der Hainburger Au hatten sehr unmittelbare Folgen wie den Rodungsstopp oder die Volksabstimmung. Wie bei der Friedensbewegung ist ihr Einfluss auch in einer allgemeinen Sensibilisierung von Politik und Bevölkerung gegenüber Themen wie Abrüstung und Umweltschutz zu verorten.
Die Frauenbewegung
Als sehr bedeutende neue soziale Bewegung gilt die Frauenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre. Ausgehend von den umfangreichen Beständen des Johanna Dohnal Archivs und des Bruno Kreisky Archivs wird ab Herbst 2009 mit der Online-Wissensbasis ofra die Geschichte und Entwicklung der institutionalisierten Frauenbewegung präsentiert. „ofra“ stellt allen Interessierten Informationen, Originaldokumente, Bilder und Plakate aus dem Umfeld der institutionellen Frauenpolitik zur Verfügung. Österreichische Frauen- und Gleichstellungspolitik seit den 1970er-Jahren werden damit dokumentiert, nachvollziehbar und zugänglich.