Fluchtpunkt Wien
Macondo ist eine Flüchtlingssiedlung im 11. Wiener Gemeindebezirk am Stadtrand Wiens, die auf dem Areal der 1915 errichteten Kaiserebersdorfer Kaserne entstand. Eigentümer des Areals ist das österreichische Innenministerium. 1956 wurden in der ehemaligen Kaserne die ersten ungarischen Flüchtlinge untergebracht, 1968 fanden dort Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei eine Unterkunft. In den frühen siebziger Jahren wurde eine Reihe von Reihenhäusern in den Wäldern rund um die Kaserne gebaut, um vietnamesische Boat People und vor General Pinochet geflohene Chilenen unterzubringen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Macondo nach einem fiktiven Dorf aus dem Roman Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez. Heute leben dort ca. 3000 Menschen aus 22 Ländern in 500 Wohnungen, darunter Flüchtlinge aus Somalia, Afghanistan, Tschetschenien und Syrien.
Die Architektur der Flüchtlingssiedlung war durch Reihenhäuser und die sich im Lauf der Jahre entwickelnde selbstorganisierte private Gartenkultur geprägt. 1974 wurde etwa die Hälfte des Grundstücks verkauft und dort ein Einkaufszentrum errichtet. 1998 eröffnete das Kardinal-König-Integrationswohnhaus. Seine Funktion hat sich in der Zwischenzeit vollkommen gewandelt: Seit 2009 ist darin das mit Zäunen und Videokameras gesicherte Familienschubhaft-Zentrum des Innenministeriums untergebracht.
Während die ersten SiedlungsbewohnerInnen ein unbefristetes Wohnrecht in Macondo hatten bzw. haben, dürfen Neuankömmlinge heute nicht länger als fünf Jahre bleiben, danach müssen sie in eine Wohnung in der Stadt übersiedeln. Das kurzfristige Wohnrecht und die damit verbundene stetige Veränderung der BewohnerInnenstruktur machen es schwierig, Nachbarschaftsbeziehungen zu entwickeln. Zudem wurden die bestehenden Gärten in eine Kleingartenzone umgewidmet und mit Mieten belegt.
Die Flüchtlingssiedlung Macondo zeigt in ihrer Entwicklung auch ein Stück österreichischer Asylgeschichte und die sich ändernden Rahmenbedingungen staatlicher Flüchtlingspolitik: Aufgrund seiner geopolitischen Lage war Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg erste Station für Flüchtlinge aus den kommunistischen Ostblock-Ländern. In den 1970er Jahren wurden politisch Verfolgte aus verschiedenen außereuropäischen Ländern, etwa aus Chile oder Uganda aufgenommen. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und nach dem Ende des Kalten Krieges verschob sich die Rolle Österreichs als traditionelles Erstaufnahme- und Transitland für Asylsuchende.