Wirtschaft und Aufbau > Löhne und Preise

ht1ut3-1ht1ut3-2ht1ut3-3ht1ut3-4ht1ut3-5ht1ut3-6ht1ut3-7ht1ut3-8ht1ut3-9Die Einführung der Lohn- und Preisabkommen markiert den Beginn der für die Zweite Republik prägenden Sozialpartnerschaft. In den ersten Nachkriegsjahren hatte die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln höchste Priorität. Dieses Problem hatte neben einer wirtschaftlichen auch eine politische Bedeutung: Die Schrecken der Ersten Republik, die unversöhnlichen politischen Fronten und die Frage der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit stellten sich erneut. Um die politische Lage zu beruhigen, wurde jetzt auf Konsenspolitik gesetzt. Die wirtschaftliche Notsituation sollte gelindert werden, indem Nahrungsmittel subventioniert wurden. Dennoch waren nach dem harten Winter 1946 Hungerdemonstrationen an der Tagesordnung. Nach dem Ende der UNRRA-Lieferungen sah der Marshall-Plan Hilfe durch direkte Industrieinvestitionen vor: Mitgliedsstaaten mussten den Willen zu strukturellen Reformen beweisen und durch staatliche Kontrolle die Währung stabilisieren. Mit diesen Bedingungen konnte sich auch die Sozialdemokratie anfreunden, die besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit immer wieder die Planung und Lenkung der Wirtschaft forderte. Um die Unsicherheiten der Wirtschaftslage abzufangen, wurde der Versuch unternommen, Löhne und Preise in Verhandlungen zwischen den Interessenvertretungen abzugleichen. Besonders das vierte Lohn- und Preisabkommen, das vom Ministerrat am 26. September 1950 beschlossen wurde, hatte neben einer Erhöhung der Lebensmittelpreise hohe Lohnverluste zur Folge.

Arbeitskämpfe in Wien

Unmittelbar nach dem vierten Lohn- und Preisabkommen begann die größte Streikbewegung der Zweiten Republik: Nach einem Aufruf der KPÖ traten 120.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in den Ausstand. In Wien legten die Beschäftigten der Austro-Fiat und der Lokomotivfabrik Floridsdorf als erstes die Arbeit nieder. Viele weitere, sowohl in privaten als auch in den sowjetisch kontrollierten USIA-Betrieben, folgten dem Aufruf zum Generalstreik.
Der Protest wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt. Polizeiberichte meldeten, dass sowjetische LKW Streikende zu den Demonstrationen brachten, auch Armeeangehörige wurden unter den Demonstranten entdeckt, obwohl gleichzeitig die Leiter der USIA-Betriebe fürchteten, ihr Plansoll durch den Streik nicht erfüllen zu können.
Am 28.9. wurde der Streik ausgesetzt, um die Ergebnisse der kommunistisch dominierten Betriebsrätekonferenz abzuwarten, die weitere Forderungen an die Regierung stellen wollte und schließlich die Wiederaufnahme des Generalstreiks für den 4. Oktober bekannt gab.

Der Streik endet, die Situation eskaliert

Mittlerweile war die Streikbewegung allerdings abgeflaut. Nachdem in einem Großteil der Wiener Betriebe die Arbeit wieder aufgenommen worden war, wurden auf Initiative der Streikführer Straßensperren aus Schutt und Autos errichtet, um so Kreuzungen und Straßenbahngeleise zu blockieren.
Der Sekretär der Bauarbeitergewerkschaft und spätere Innenminister Franz Olah stellte ein "Rollkommando" aus Bau- und Holzarbeitern zusammen, das die Barrikaden entfernte und dafür sorgte, dass die Streikenden die Arbeit in den Betrieben wieder aufnehmen konnten.
Am 6. Oktober 1950 endete der größte Streik der Zweiten Republik. Die Diskussion, ob es sich um einen "wirtschaftlichen" oder "politischen" Streik oder um einen gelenkten Putschversuch gehandelt hatte, dauerte jedoch über Jahrzehnte an. Jedenfalls waren die Tage im September und Oktober 1950 ein wichtiger Angelpunkt in der Geschichte Wiens und der Zweiten Republik. Hier wurden die Weichen gestellt für den österreichischen Sonderweg der Sozialpartnerschaft, für die Politik der Gewerkschaften und für die Herangehensweise der politischen Lager an jede Form von Arbeitskampf und sozialer Unruhe.

Die Quellenbeispiele auf dieser Seite dokumentieren den Ablauf der Streikbewegung exemplarisch an den Lagemeldungen der österreichischen Gendarmerie und Polizei, die auch erkennen lassen, in welchem Ausmaß die Exekutive von Seiten der Besatzungsmacht behindert wurde.