Neue soziale Bewegungen > Anti-Zwentendorfbewegung
[Fehler bei WiKi Popup: Eintrag Nr. 329 nicht gefunden]Die Geschichte des einzigen österreichischen Atomkraftwerkes Zwentendorf markiert eine wichtige Zäsur in der jüngeren österreichischen Politik-, Umwelt- und Sozialgeschichte. Erstmals gelang es engagierten BürgerInnen, durch verschiedene Aktionen und politisches Lobbying eine Volksabstimmung herbeizuführen und damit die Inbetriebnahme des bereits errichteten Kernkraftwerks zu verhindern.
Der Erfolg der Protestbewegung gegen Zwentendorf beeinflusste auch Anti-Atom- und Umweltinitiativen in den folgenden Jahrzehnten, z. B. den Widerstand gegen das Kraftwerk Hainburg 1984.
Die Stiftung Bruno Kreisky Archiv beherbergt eine umfassende Sammlung von Dokumenten zur Planung des Kernkraftwerkes, zur Protestbewegung, zur Informationskampagne der Regierung vor der Volksabstimmung, eine Pressesammlung, sowie eine Sammlung von Protestschreiben aus der Bevölkerung an den Bundeskanzler Kreisky zum Thema „Zwentendorf“.
„Mütter, Ärzte, Wissenschafter und Maoisten“: KernkraftgegnerInnen unter sich
Die österreichische Anti-Atombewegung ab Mitte der 1970er-Jahre war international vor allem von der Anti-Kernkraftbewegung in der BRD beeinflusst. Die Initiativen der österreichischen Bevölkerung gegen die friedliche Nutzung von Kernenergie waren regional sehr unterschiedlich ausgeprägt und blieben nicht auf Wien beschränkt. Bundeskanzler Bruno Kreisky erhielt zwischen 1976 und 1979 eine Fülle von Protestschreiben aus ganz Österreich und aus dem Ausland. Ein bekanntes Beispiel war die Kernkraftgegnerin Traudy Rinderer vom Verein „Mütter gegen Atomkraftwerke“, die von Jänner bis August 1978 täglich einen Brief an Bruno Kreisky verfasste, in dem sie vor den Gefahren der Kernkraft warnte und von den eigenen Ängsten berichtete.
Insgesamt formierten sich zwischen 1976 und 1978 mehrere hundert kleine und große Widerstandsgruppen gegen Zwentendorf. Vom Engagement einiger „radikaler“ außerparlamentarischer Gruppen und überzeugter Individuen wuchs die „Anti-Zwentendorfbewegung“ rasch zu einer breiten Bewegung heran. Vertreter der verschiedensten politischen Ausrichtungen – von einer Vereinigung von WissenschafterInnen über katholische Gruppierungen bis hin zum maoistischen „kommunistischen Bund“ – vereinten sich im Widerstand gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes. Innerhalb dieser sehr heterogenen Bewegung unterschieden sich die Ideologien, die Argumente gegen Zwentendorf blieben jedoch im Großen und Ganzen gleich. Umweltschutz und die Absicherung eines lebenswerten Lebensraumes für künftige Generationen sowie ein möglicher Missbrauch von Kernkraftwerken im Kriegsfall standen im Zentrum der Argumentation der AtomkraftgegnerInnen.
Die inhomogene Zusammensetzung der Protestbewegung führte aber auch zu Konflikten, wie z. B. nach der via Medien ausgetragenen verbalen Eskalation zwischen Kernkraftgegnern und dem Bundeskanzler Kreisky nach einer Demonstration am 26. Oktober 1977 am Ballhausplatz in Wien, an der zwischen 3000 und 5000 Menschen teilnahmen.
Unter den DemonstrantInnen befanden sich linke Gruppen wie der kommunistisch-maoistische Bund, die die Veranstaltung nützten, ihre umfassend demokratiekritische Haltung mit antiparlamentarischen Transparenten und Sprechchören zu verlautbaren. Als Reaktion darauf verweigerte Kreisky, der ursprünglich einem Treffen mit VertreterInnen der AtomkraftgegnerInnen zugestimmt hatte, das Gespräch und verurteilte bei einer anschließenden Pressekonferenz die TeilnehmerInnen der Protestkundgebung pauschal als „Lausbuben“ und „Baader-Meinhof-Sympathisanten“.
Dieser und ähnliche Vorfälle gaben den Anlass für interne Diskussionen unter den AtomkraftgegnerInnen-Verbänden, allen voran innerhalb der Plattform „Initiative der Österreichischen Atomkraftwerksgegner“ (IÖAG), und führte im Frühjahr 1978 zur Gründung einer neuen Dachorganisation, der „Arbeitsgemeinschaft Nein zu Zwentendorf“ (ARGE Nein), die sich von „radikalen“ AtomkraftgegnerInnen distanzierte und mithilfe der die Kräfte der verbleibenden Einzelgruppierungen im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung gebündelt werden sollten. Neben Broschüren und Zeitungsanzeigen des Verbands der Elektrizitätswerke reagierte auch die Regierung auf das immer stärker werdende Engagement der Zwentendorf-GegnerInnen mit einer groß angelegten „Informationskampagne Kernenergie“.
Standpunkte der politischen Parteien
Noch Ende der 1960er-Jahre befürworteten alle drei Parlamentsparteien den Bau von Kernkraftwerken in Österreich. Die friedliche Nutzung von Kernkraft zur Abdeckung des steigenden Energiebedarfs galt als fortschrittliche Energiepolitik. Während der öffentlichen Debatte um das Kraftwerk zwischen 1976 und 1978 gab es innerhalb der ÖVP Positionen pro und contra Zwentendorf. Erst Anfang Februar 1978, ca. ein halbes Jahr vor der Volksabstimmung einigte man sich auf eine gemeinsame Stellungnahme. Die ÖVP sei grundsätzlich für die Nutzung von Kernenergie, das Kernkraftwerk Zwentendorf sei jedoch aufgrund mangelnder Sicherheitsbestimmungen abzulehnen. Die kleine Oppositionspartei FPÖ entschied sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einem einheitlichen „Nein“ zu Zwentendorf.
Die seit 1970 allein regierende SPÖ, allen voran Bundeskanzler Bruno Kreisky führte vor allem wirtschaftliche Argumente, wie Arbeitsplatzsicherung, ins Feld, thematisierte aber auch die mögliche Energieunabhängigkeit von Öl und Gas. Der Großteil von Partei und Gewerkschaft blieben bis zur Volksabstimmung und darüber hinaus Befürworter der friedlichen Nutzung von Kernkraft und der Inbetriebnahme von Zwentendorf. Ausnahmen bildeten einzelne Gruppen, wie die sozialistische Jugend (SJ), die „Gewerkschafter gegen Atomstrom“ und die im Sommer 1978 gegründete Initiative „Sozialisten gegen AKW“.
Volksabstimmung gegen Zwentendorf
Im Dezember 1977 unterbreitete die Bundesregierung dem Nationalrat den „Regierungsbericht Kernenergie“. Dazu wurde ein eigener „Atom-Unterausschuss“ gebildet, der in der ersten Hälfte des Jahres 1978 einige öffentliche Sitzungen abhielt, bei dem von den Parteienvertretern der drei Parlamentsparteien nicht nur Sachverständige, sondern erstmals auch 35 VertreterInnen verschiedener Bürgerinitiativen angehört wurden. Da der Ausschuss zu keiner Einigung kam, beschloss der SPÖ-Vorstand unter zunehmenden Druck der Öffentlichkeit im Juni 1978, eine Volksabstimmung zur Frage Zwentendorf und Atomkraft abhalten zu lassen.
Trotz der der groß angelegten, und den finanziellen Mitteln der KernkraftgegnerInnen weit überlegenen, Informationskampagne der Bundesregierung und einer klaren Wahlempfehlung der Regierungspartei stimmten von 3,2 Millionen Wahlberechtigten 1,61 Millionen am 5. 11. 1978 mit „Nein“. Eine knappe Mehrheit von 50,5 % sprach sich gegen den Gesetzesbeschluss des Nationalrates vom 7. 7. 1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich und damit konkret gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf aus.
Die Bundesregierung unter Bruno Kreisky akzeptierte das „Nein“ der Bevölkerung. Die SPÖ-Parlamentsfraktion brachte bereits am 8. 11. 1978 einen Initiativantrag für ein Gesetz ein, das den Bau und die Inbetriebnahme von Kernkraftwerken generell verbieten sollte. Das „Atomsperrgesetz“ wurde am 15. November – 10 Tage nach der Volksabstimmung – vom Nationalrat verabschiedet und trat am 30. 12. 1978 in Kraft. Die Diskussion über die Möglichkeit der friedlichen Nutzung von Kernenergie zog sich noch einige Jahre hin, bis schließlich die Katastrophe von Tschernobyl im Frühjahr 1986 ein klares Bekenntnis aller Parlamentsparteien zu einem „atomkraftfreien“ Österreich bewirkte.