Neue soziale Bewegungen > Besetzung der Hainburger Au
Bereits in den 1970er-Jahren hielt ein neues „ökologisches Paradigma“, das heißt ein breites Umweltbewusstsein, Einzug in den öffentlichen Diskurs. „Umweltanliegen“ wurden von gesellschaftlicher und politischer Seite mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. So entwickelte sich auch in Österreich, verwoben mit der „Anti-Kernkraftbewegung“ eine szenenübergreifende „Ökologiebewegung“, deren ProponentInnen sich in Vereinen und Bürgerinitiativen engagierten. Im Frühjahr 1983 ließen die neugegründeten österreichischen Umweltorganisationen „Global 2000“ und „Greenpeace Österreich“ mit einer Aktionswoche gegen den sauren Regen aufhorchen. Auch auf parteipolitischer Ebene wurden Umweltagenden wie Wasserschutz oder Tierschutz wichtiger. Eine wesentliche Rolle in dieser Entwicklung spielten die Ereignisse in und um die Besetzung der Hainburger Au im Dezember 1984. Es entstand eine weitere „neue soziale Bewegung“. Die AktivistInnen und BesetzerInnen von Hainburg identifizierten sich mit der bedrohten, „unberührten“ Natur des Auwaldes und setzten sich für dessen Erhalt – mitunter körperlich – ein. Mit Unterstützung einiger österreichischer Massenmedien wurde „Hainburg“ zum Politikum und zur historischen Zäsur.
Engagement für die Erhaltung der Aulandschaft
Die Geschichte des Widerstands gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes bei Hainburg an der Donau Anfang der 1980er-Jahre begann mit vereinzeltem Protest von Bürgerinitiativen und regionalen UmweltaktivistInnen, die mit Unterschriftensammlungen und Appellen an Politik und Wissenschaft versuchten, auf die bevorstehende Zerstörung des Auwaldes aufmerksam zu machen. Weite Teile des österreichischen Donauufers waren zu diesem Zeitpunkt bereits verbaut und mit Staustufen und Kraftwerken versehen. Das betroffene Gebiet zwischen der Lobau und der slowakischen Grenze war das einzige mehr oder weniger unberührte Stück Donauauwald in Österreich.
Ähnlich wie bei Zwentendorf machten sich die regierende SPÖ unter Bundeskanzler Sinowatz sowie die Vertreter der Energiewirtschaft und des österreichischen Gewerkschaftsbundes mit zwei Hauptargumenten für den Bau des Kraftwerks stark: Energiegewinnung und Arbeitsplatzsicherung.
Im Februar 1983 startete der „World Wildlife Fund“ (WWF) die Aktion „Rettet die Auen“. Einige Monate später, im Juli, wurde die „Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg“ gegründet, das aus etwa 20 einzelnen Naturschutzgruppen und Bürgerinitiativen bestand. Ab Herbst 1983 kam es zu wöchentlichen Treffen und „runden Tischen“ im Wiener Café Votiv.
Das „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“
Mit der Unterstützung von einigen Prominenten, darunter viele österreichische KünstlerInnen, aber auch SPÖ-Mitglieder wie Günther Nenning und Freda Meissner-Blau, wurde im Mai 1984 das nach dem Nobelpreisträger und „Anti-Zwentendorf“-Aktivisten benannte „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ vorgestellt, das sich gegen den Bau des Wasserkraftwerks wandte und mehr „Umweltschutz“ im Allgemeinen forderte. Mit Aktionen wie der „Pressekonferenz der Tiere“ am 7. 5. 1984 im Presseclub Concordia machten die AktivistInnen – darunter auch Mitglieder der Jugendorganisationen der drei Parlamentsparteien und unabhängige KünstlerInnen – die Medien und somit auch eine breite Öffentlichkeit auf sich aufmerksam. Trotz des Protests und Zweifel an der Vereinbarkeit des Kraftwerksbaus mit dem geltenden niederösterreichischen Naturschutzgesetz erließ der niederösterreichische Landesrat Brezovsky am 5. 12. 1984 die naturschutzrechtliche Bewilligung. Damit war der Startschuss für die Rodungsarbeiten gegeben.
Die Besetzung
Am 8. 12. 1984, kurz vor dem geplanten Beginn der Waldrodung, begann im Anschluss an einen vom „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ organisierten Sternmarsch in die bedrohten Auwälder die Besetzung der „Stopfenreuther Au“. Durch erfolgreiche Blockadeaktionen der AktivistInnen wurden die ersten Rodungen verhindert. In Wien erwirkten einige ProponentInnen der Bewegung durch Verhandlungen mit der Regierung einen Aufschub der Rodungen bis Mitte Dezember. In der Zwischenzeit stieg die Anzahl der AubesetzerInnen, die trotz Androhung von Geld- und Haftstrafen den Rodungsversuchen gewaltfreien Widerstand entgegensetzten und sich auch von mehrmaligen Räumungsversuchen der zahlenmäßig unterlegenen Exekutivbeamten nicht vertreiben ließen, auf bis zu 4000 an.
Unter dem Druck der Gewerkschaft, die besonders vehement für den Kraftwerksbau eintrat, wurde am 19. 12. 1984 erneut versucht, die Au von der Exekutive räumen zu lassen. Es kam zu schweren Ausschreitungen mit 19 Verletzten. Die Rodungsarbeiten mussten wieder abgebrochen werden. Die Anwendung von Gewalt bei der polizeilichen Räumung löste in der Bevölkerung eine breite Solidaritätswelle mit den AubesetzerInnen aus. Noch am gleichen Tag kam es auf der Wiener Ringstraße zu einer Großdemonstration (ca. 40.000 Menschen) gegen den Polizeieinsatz. Auch von Seiten der Medien, insbesondere der „Neuen Kronen Zeitung“, hagelte es Kritik. Zwei Tage später, am 21. Dezember, beugte sich Bundeskanzler Sinowatz dem Druck und verkündete via Medien den sogenannten „Weihnachtsfrieden“ von Hainburg. Mit der unbefristeten Aufschiebung weiterer Rodungsarbeiten durch einen Beschluss des Höchstgerichts am 3. 1. 1985 war der „Kampf“ um Hainburg zugunsten der GegnerInnen des Kraftwerks vorerst beendet.
Die Folgen von „Hainburg“
Wie „Zwentendorf“ wurde auch „Hainburg“ im Rückblick zu einem kleinen österreichischen „Mythos“ und zum „Erinnerungsort“. Durch zivilen Ungehorsam, gewaltfreien Widerstand und kreativen Aktionismus wurde mit breiter Unterstützung von Medien und Bevölkerung ein Projekt der Regierung verhindert.
Zudem führten die Ereignisse von Hainburg zu einer Verpolitisierung des Topos „Natur“, der die politische und ideologische Landschaft in Österreich bis heute beeinflusst. Ein Aspekt davon ist die Gründung und der Aufstieg der Grünen Partei in den 1980er- und 1990er-Jahren. Noch unter dem Einfluss der Auseinandersetzung um das Wasserkraftwerk schaffte die Liste „Die Grüne Alternative – Liste Meissner-Blau“ zwei Jahre später, im November 1986, unter der Führung von Ex-SPÖ-Politikerin Freda Meissner-Blau mit knapp über fünf Prozent den Einzug ins Parlament.
Das von 4. – 11. 3. 1985 durchgeführte Konrad-Lorenz-Volksbegehren, das unter anderem ein Verbot von Großkraftwerken wie Hainburg und die Errichtung eines Nationalparks im Gebiet von Hainburg verlangte, wurde von 353.906 Personen unterzeichnet. Am 1. 7. 1986 hob der Verwaltungsgerichtshof den umstrittenen Wasserrechtsbescheid endgültig auf. Der Gegenstand der Auseinandersetzung – die Au – wurde schließlich 1996 zum Nationalpark „March-Donau-Auen“ ernannt.