Vor der Fristenregelung > Abtreibung als verbotene Praxis

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Die alte Engelmacherin
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Adressen von Abtreibungskliniken im Ausland 1972 Adressen von Abtreibungskliniken im Ausland 1972 Illustration 1975 Illustration 1975 Inserat 1974 Inserat 1974 Seit es ein staatliches Strafrecht in Österreich gab (siehe Gesetzliche Entwicklung), also seit dem 18. Jahrhundert, definierte dieses den Schwangerschaftsabbruch ausnahmslos als „Verbrechen“, das mit „schwerem Kerker“ zwischen einem und zehn Jahren zu bestrafen sei. Weil das Gesetz keine Ausnahmen formulierte, behalfen sich die Richter, sahen sie eine nachvollziehbare Notlage vorliegen, mit einer allgemeinen Notstandsregelung des Strafgesetzes. Diese besagte, dass eine Handlung dann kein Verbrechen sei, wenn sie „durch unwiderstehlichen Zwang“, in „Ausübung gerechter Notwehr“ oder in einem „Irrtum unterlief, der ein Verbrechen in der Handlung nicht erkennen ließ“ (StG 1852, § 2 (g), (e)). Umstritten war nach der Wiederbegründung der Republik im Frühjahr 1945 unter Juristen (Juristinnen meldeten sich nicht zu Wort) zudem, ob Paragraph 357a des Strafgesetzes, der während des österreichischen Faschismus eingeführt worden war, noch in Geltung war. Diese Bestimmung zielte darauf, die Anwendung der Notwehrbestimmung auf das Vorliegen einer unmittelbaren Lebensgefahr für die Schwangere zu beschränken.

So entstand eine rechtliche Grauzone, in der Schwangerschaftsabbrüche stattfanden, und zwar mangels klarer Bestimmungen weitgehend ungeregelt. Es entwickelte sich ein ausdifferenzierter „Markt“ mit sehr unterschiedlichen Preise und zum Teil sehr hohen Gewinnmargen: Wohlhabendere Frauen konnten es sich leisten, zu einem Privatarzt zu gehen, wenn sie ungewollt schwanger waren. Dieser attestierte dann eine Gesundheitsgefährdung durch die Schwangerschaft. Auf dieser Basis wurde dann ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt — in einem Krankenhaus, in der Praxis eines privaten Arztes oder in einem kostspieligen Privatsanatorium. Es gab keine klaren Vorgaben, welche konkreten Notsituationen einen Abbruch rechtfertigten. In archivierten Prozessunterlagen werden etwa „Lungenleiden“, „Nachtschweiß“, „Abmagerung“ und Suizidgefahr ins Treffen geführt. Die Kosten für den Eingriff betrugen oft mehrere Tausend Schilling, was das Monatsgehalt beispielsweise einer Büroangestellten bei weitem überstieg. Verfügte eine Frau nicht über die notwendigen finanziellen Ressourcen für einen Abbruch in einem professionellen medizinischen Setting, musste sie sich an eine Hebamme oder eine „Engelmacherin“ wenden — also an eine Person, die oft, aber bei weitem nicht immer über die notwendigen Kenntnisse verfügte, um das Abgehen des Fötus mittels eines in die Gebärmutter eingeführten Gegenstandes herbeizuführen, ohne die Frau dabei lebensgefährlich zu verletzen. Neben mechanischen Instrumenten wurden — nicht selten in Eigenregie — unzählige mehr oder weniger toxische Mittel angewandt, die (auch) abortive Wirkung hatten.

Wie immer eine Frau versuchte, ihre Schwangerschaft zu beenden: Für alle galt, dass es meist zu keinen behördlichen Aktivitäten kam, wenn nach dem Abbruch keine Komplikationen auftraten und niemand Anzeige erstattete. Die zahlreichen Prozessakten zeigen aber, dass es oft vorkam, dass Anzeige erstattet wurde, etwa von Männern, die mit der Beendigung einer Schwangerschaft nicht einverstanden waren, oder von an sich unbeteiligtem Krankenhauspersonal, die „Verdächtiges“ meldeten. Es kam mitunter oft auch noch Jahre nach dem Eingriff zu einer behördlichen Verfolgung, etwa, wenn die Ordination eines Arztes Jahre später durchsucht und Aufzeichnungen über Patientinnen gefunden wurden. Diese Durchsuchungen fanden oft dann statt, wenn irgendwann doch „etwas passiert“ war, also durch die Abtreibung ein schwerwiegendes medizinisches Problem aufgetreten war, sodass die verletzte Frau in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, das Verdacht schöpfte und Anzeige erstattete. Trotzdem war der Nachweis eines erfolgten Abbruchs dann oft noch schwierig; Der durchführende Arzt konnte sich mit nicht vorhersehbarer Erfolgsaussicht auf einen „Irrtum“ berufen: Er habe gedacht, es läge eine Notsituation vor, auch wenn sich das im Nachhinein als falsch herausgestellt hätte. Diese Möglichkeit der Rechtfertigung stand nicht-ärztlichem Personal nicht offen. Das Risiko einer Verurteilung war entsprechend höher, für die Person, die die Abtreibung durchgeführt hatte, und für die Patientin.

Das Wissen über Möglichkeiten der Abtreibung war, wie zahlreiche Fallgeschichten dokumentieren, weit verbreitet. Wie die Interviews zeigen, fanden die meisten ungewollt schwangeren Frauen in ihrer näheren Umgebung Menschen, die eine Adresse kannten, einen Arzt oder auch eine Ärztin vermitteln konnten. Ab den 1950er Jahren wurde außerdem das Reisen für breite Bevölkerungsschichten leichter. In vielen europäischen Ländern wurden während der 1960er Jahre Indikationenregelungen, die oft liberal gehandhabt wurden, eingeführt. Frauen nahmen dann also mitunter weite Reisen auf sich, um ihre ungewollte Schwangerschaft zu beenden: in die Tschechoslowakei, nach Jugoslawien, in die Niederlande oder auch nach Großbritannien.

Abtreibung, der $144 wurde zwar in der Öffentlichkeit, vor allem in Zeitungen häufig besprochen, wenn über einen Aufsehen erregenden Prozess oder über einen besonders tragischen Todesfall berichtet werden konnte; oder aber wenn Politiker und Politikerinnen hohe Abtreibungszahlen beklagten — von 100.000 jährlichen Abtreibungen und mehr war da oft die Rede. Der auf Grund dessen drohende „Volkstod“ wurde heraufbeschworen.

Die Frauen, die ungewollt schwanger wurden, hatten in dieser Öffentlichkeit aber keine Stimme, für sie war offenes Sprechen über ihre Situation völlig undenkbar; die Eingriffe erfolgten in einer Unsicherheitszone, die von Abhängigkeitsverhältnissen, Verleumdungen, Verdächtigungen, Angst, Verzweiflung und Denunziation geprägt war.