Vor der Fristenregelung > Gesetzliche Entwicklung

Codex Austriacus 1704 Codex Austriacus 1704 Gesetzestext 1803 Gesetzestext 1803 Die Unzufriedene 1924 Die Unzufriedene 1924 Juristische Blätter 1938 Juristische Blätter 1938 Zeitschrift Rotstrumpf 1973 Zeitschrift Rotstrumpf 1973

Schwangerschaftsabbrüche waren vermutlich seit Beginn der Rechtsgeschichte Gegenstand von gesetzlichen Regelungen. Bereits im antiken hippokratischen Eid werden sie genannt. Im Mittelalter wuchs der Einfluss des kirchlichen Rechts auf das weltliche – Gott galt als Spender des Lebens und eine Abtreibung war damit ein Akt gegen den Willen Gottes. Zuerst galt das Abtreibungsverbot wohl noch nicht absolut: Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin bezog sich auf die antike Vorstellung, dass Embryos erst einige Zeit nach der Befruchtung beseelt würden. Daraus lässt sich eine frühe Idee der Fristenregelung ableiten. Die Unterscheidung zwischen unbeseelter und beseelter Leibesfrucht kannte das Kirchenrecht mit Unterbrechungen bis ins 19. Jahrhundert.

Mit der Ausbildung des modernen Staats wurde auch die Geburtenkontrolle und damit der Körper der Frauen unter die Interessen des Staatswesens gestellt: Die Produktion von Untertanen war Aufgabe der weiblichen Körper, Verstöße gegen dieses Gebot dagegen wurden im Strafrecht sanktioniert. Das erste reichsweite Strafgesetzbuch, die Constitutio Criminalis Carolina Kaiser Karl V. aus dem Jahr 1532 sah für die Abtreibung der lebendigen Leibesfrucht die Todesstrafe vor. Die österreichischen Landesgerichtsordnungen folgten im Wesentlichen der Carolina, so etwa die Ferdinandea Kaiser Ferdinands III., die im 67. Artikel einen Fragenkatalog für Gerichte aufzählt sowie mildernde und erschwerende Umstände beschreibt. Die 1768 erlassene Constitutio Criminalis Theresiana sollte schließlich ein einheitliches Strafrecht in den Ländern Österreichs und Böhmens einrichten. Bisherige Regelungen aus der Landgerichtsordnung wurden übernommen, die Theresiana führte aber als erschwerenden Umstand ein, wenn Abtreibungen mit Gewinnabsicht durgeführt wurden. Bereits 1787 wurde die Theresiana durch das von der Aufklärung geprägte josephinische Strafgesetzbuch abgelöst: Die Strafandrohung wurde von der Todesstrafe zur Freiheitsstrafe abgemildert, dafür entfiel die Differenzierung zwischen unbelebter und belebter Frucht.

Die josephinischen Bestimmungen blieben auch im Strafgesetzbuch von 1803 erhalten, seit 1852 ist die Abtreibung unter § 144 aufgeführt, der erst mit der Einführung der Fristenregelung 1975 in dieser Form abgeschafft bzw. modifiziert wurde: „Eine Frauensperson, die absichtlich was immer für eine Handlung unternimmt, wodurch die Abtreibung ihrer Leibesfrucht verursacht oder ihre Entbindung auf solche Art, dass das Kind tot zur Welt kommt, bewirkt wird, macht sich eines Verbrechens schuldig.” Mit der Republiksgründung und der damit verbundenen Erringung des Frauenwahlrechts diskutierten besonders die sozialdemokratischen Frauen die Reform oder gar Abschaffung des § 144. Adelheid Popp brachte 1920 einen Antrag auf Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten in den Nationalrat ein, der jedoch keine parlamentarische Mehrheit erreichte. Die christlichsoziale Partei widersetzte sich vehement allen Reformversuchen, nicht zuletzt aufgrund ihrer inhaltlichen und personellen Nähe zur katholischen Kirche.

Das Ende der demokratischen Republik in Folge der Ausschaltung des Parlaments durch das austrofaschistische Regime hatte auch Einfluss auf die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Die nicht rechtmäßige, oktroyierte Maiverfassung von 1934 schrieb die Möglichkeit der Einschränkung von Frauenrechten fest. Artikel 16 (2) bestimmte: „Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer, soweit es nicht durch Gesetz anders bestimmt ist.“ Gleichzeitig ging in dieser Verfassung das Recht nicht mehr vom Volk aus, sondern das Volk erhielt dieses von Gott. Dementsprechend fanden in die Gesetzgebung Forderungen der eng mit dem austrofaschistischen Regime verbundenen katholischen Kirche Eingang: Das „Bundesgesetz zum Schutz des keimenden Lebens“ legte ein — aufwändiges und umständliches — Verfahren fest, unter welchen Bedingungen Abbrüche stattfinden durften, wenn das Leben der Schwangeren nicht anders zu retten war: Kommissionen, bestehend aus dem Bezirksamtsarzt sowie zwei Chefärzten, sollten die Einzelfallbewertungen vornehmen. Durch die Strafgesetznovelle 1937 wurden Verstöße dagegen geahndet und der Personenkreis, der der „Mitwisserschaft“ angeklagt werden konnte, ausgeweitet. Neben einer Novelle der §§ 144 bis 146 wurde ein „Bundesgesetz zum Schutz des keimenden Lebens“ verordnet, das auch den Abbruch bei Vorliegen einer medizinischen Indikation einschränkte.

Die Regelungen der Dollfuß/Schuschnigg-Diktatur blieben nur kurz in Kraft. Nach dem sogenannten Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland führte das Regime Gesetze ein, die von rassenhygienischen Grundsätzen geleitet waren. Die Abtreibungsverbote wurden insofern abgeändert, als als „erbkrank“ klassifizierte Frauen mit Abtreibung und gleichzeitiger Sterilisation behandelt werden konnten. Die Entscheidung darüber oblag staatlichen Organen wie den sogenannten Erbgesundheitsgerichten. Staatliche Abtreibungen waren dadurch legalisiert, freiwillige Abtreibungen hingegen nicht und konnten in schweren Fällen sogar mit der Todesstrafe geahndet werden.
Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes und der Wiederrichtung der demokratischen Republik wurde das Rechtskorpus, das vor dem März 1938 gültig war, wieder eingeführt, also auch die Bestimmungen der austrofaschistischen Novelle von 1937. Nur das bereits vor dem „Anschluss“ abgeschaffte Bundesgesetz zum Schutz des keimenden Lebens“, das die Abtreibungskommissionen vorgesehen hatte, trat nicht mehr in Kraft. Die Folge daraus war, dass die medizinische Indikation als einzige Möglichkeit, einen legalen Abbruch durchzuführen, sehr unklar geregelt war: Einzige Grundlage war das Notstandsrecht im § 2 des Strafgesetzbuches. In der jungen Zweiten Republik gab es nur zögerliche Versuche, die Abtreibungsparagraphen zu reformieren, eine breite Diskussion wurde aber durch die neuen Frauenbewegungen und internationale Entwicklungen wie in Dänemark und den USA angestoßen. Die sozialdemokratische Alleinregierung unter Bruno Kreisky ab 1970/71 nahm die Möglichkeit wahr, im Rahmen der umfassenden Reform des Strafrechts auch die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu modernisieren. In der Zivilgesellschaft formierten sich währenddessen die katholisch geprägte „Aktion Leben“, die eine Liberalisierung verhindern wollte und das „Aktionskomittee zur Abschaffung des § 144“. Beide Gruppen wurden eingeladen, ihre Standpunkte vor dem parlamentarischen Justizausschuss darzulegen. Am 29. November 1973 wurde die Liberalisierung schließlich mit den Stimmen der SPÖ im Nationalrat beschlossen und wurde, nach Einspruch des Bundesrates, am 24. Jänner 1974 durch einen Beharrungsbeschluss endgültig abgesegnet. Dadurch trat die Fristenregelung am 1. Jänner 1975 in Kraft: Der Schwangerschaftsabbruch ist seitdem weiterhin im Strafrecht verankert, allerdings innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft nicht mit Strafe belegt.