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Interview mit Elisabeth Haidler am 16.12.2022 in ihrer Wohnung.
Transkript Peter Wackerlig.

Steiner

Gestern war das Fernsehen da, haben Sie gesagt?

Haidler

Ja, Puls 4. Die kommen ja mit einem Equipment, da war ja die ganze Bude umgebaut. Ich war natürlich viel zu viel politisch für die, die ja eigentlich unpolitisch sind, nicht unpolitisch, aber ja.

Steiner

Was wollten sie denn?

Haidler

Na ja, es geht immer um Schwangerschaftsabbruch, weil angeblich niemand mit ihnen redet.

Steiner

Das stimmt aber wirklich.

Haidler

Und ob ich in meinem Alter Frauen kenne, die abgetrieben haben. Sage ich, na fast jede.

Steiner

Es waren so wenig Möglichkeiten.

Haidler

Es waren die Engelmacherinnen, und eine, die schon drei Kinder gehabt hat, hat kein viertes wollen, wo eh nichts da war. Wovor haben die Frauen Angst? Wir leben in einem Land, wo wir keine Angst haben brauchen. Ja, aber sie haben angeblich eine. Es redet niemand mit ihnen, und wenn junge Frauen mit ihnen reden, zeigen sie ihr Gesicht nicht. Aber ich hab ja schon mit Susi Riegler in dem Film "Der lange Arm der Kaiserin" mitgemacht, und da war es ja genauso und das ist schon ein paar Jahre her.

Steiner

Von ihr hab ich die Telefonnummer gekriegt, sie war bei mir im Dohnal-Archiv, denn die ganzen Unterlagen von Johanna Dohnal sind ja im Vorwärts.

Steiner

Gekommen bin ich, kurz zum Projekt: Wir interviewen Frauen zum Thema Schwangerschaftsabbruch vor 75, also vor der Straffreiheit. Es ist, wie gesagt, gar nicht so leicht, jemanden zu finden, aber Susi Riegler hat ja auch bei uns im Dohnal-Archiv recherchiert und so bin ich auf Sie gekommen. Wie alt waren Sie? Wie waren Ihre Lebensumstände?

Haidler

Also ich war 17, wie ich schwanger wurde, schon vom Haidler, aber wir waren natürlich noch lange nicht verheiratet. Es war überhaupt nicht möglich, jemand zu finden, der diesen Abbruch macht. Ich hab die ärmste und modernste Mutter der Welt gehabt, mit der ich alles besprechen konnte. Ich bin natürlich zu ihr gekommen und hab gesagt, ja, ich bin schwanger, aber eigentlich wollen wir das Kind nicht, keine Wohnung kein gar nix. Ich war schon damals privilegiert, denn wir haben schon im Gemeindebau gewohnt. Durch den Ersten Weltkrieg hat meine Großmutter, die in Ottakring Hausbesorgerin war, den Hausbesorgerposten mit einem ÖBB-Beamten tauschen können, denn damals waren die auch von der Arbeitslosigkeit betroffen, und so sind wir schon in den Gemeindebau gekommen. Wo eigentlich im Keller die Waschküche und solche Sachen waren, haben wir schon Wasser in der Wohnung gehabt, eine Waschküche oben. Und wenn ich da zum Beispiel im Waschtrog gebadet worden bin, hab ich ja schon geglaubt, ich bin ein Kind von reichen Eltern. Das war etwas. Ich hab damals schon im Gemeindebau gewohnt. Meine Mutter war wirklich eine ganz moderne Person, mein Vater ist gestorben, da war ich zwei Jahre, nicht im Krieg, sondern an Tuberkulose, was halt damals leider auch so war. Ich konnte mit ihr darüber reden. Meine Mama hat auch viele Freundinnen gehabt, und eine hat ihr dann gesagt, ja, sie kennt eine Krankenschwester, die bei einem Gynäkologen arbeitet. Der macht das, sie wird sie fragen. Die hat gesagt, ja, sie macht das mit dem Gynäkologen, der im 1. Bezirk eine Praxis gehabt hat. Niemand hat je seinen Namen erfahren, gar nichts, und es kostet 2.000 Schilling. Das war 1958 ein Vermögen. Meine Mama hat in einer Knopffabrik als Hilfsarbeiterin gearbeitet, war eine gelernte Schneiderin und konnte sich dort 1.000 Schilling Vorschuss nehmen, und der Haidler konnte sich auch bei der Firma, wo er Maschinenschlosser gelernt hat, 1.000 Schilling Vorschuss nehmen. Die beiden haben das Geld aufgestellt, und die Krankenschwester ist mit dem Arzt an einem Freitag am Abend um 18 Uhr zu meiner Mutter gekommen, in die Wohnung zu meiner Mutter. Bei meiner Mama am Küchentisch wurde das gemacht. Die Mama hat die Lampe halten müssen, die Krankenschwester hat mir die Füße gehalten, und er hat das gemacht.

Steiner

Ohne Betäubung?

Haidler

Nein, ohne alles. Am Montag bin ich wieder in die Firma gegangen. Es hat niemand gewusst. Ich bin bis Montag im Bett gelegen, und der Haidler ist unten im Haustor gestanden und hat gewartet, bis die fortgehen, schauen, ob ich eh noch lebe. Das wurde aber okay gemacht, und es waren keine Blutungen oder irgendwas, also es war in Ordnung. Ich hab nie mit meinem Gewissen gekämpft. Erstens einmal hab ich nicht das Gefühl gehabt, dass ich jemand töte, zweitens einmal hab ich mir das gewünscht, weil ich gesagt hab, wenn ich ein Kind kriege, möchte ich dem Kind zumindest ein eigenes Bett bieten können. Das war nicht, und somit war das für mich in Ordnung, und ich war glücklich, dass wir es irgendwie geschafft haben. Aber natürlich hat es damals viele, viele junge Mädchen in meinem Alter gegeben, die sich daheim gar nichts sagen getraut haben oder mit niemandem darüber reden haben können. Das war der Vorteil meiner wunderbaren ärmsten Mutter.

Steiner

Sie sind relativ früh draufgekommen, dass Sie schwanger waren?

Haidler

Ja.

Steiner

Hat das dann noch lange gedauert, bis das alles auf Schiene war?

Haidler

Na, vier Wochen haben wir schon gebraucht, aber es war noch in dem Bereich, dass ich nicht schon über die 13. Woche und so war, was ich ja gar nicht gewusst habe oder was. Natürlich hat man mich auch zu einer Engelmacherin geschickt, Zwiebelbäder, Stricknadel und so weiter. Zwiebelbad habe ich eh nichts davon gehalten, dass das etwas nutzen kann, und mit Stricknadeln drin umadumstiererln, habe ich mich, ehrlich gesagt, nicht getraut, denn du weißt nicht, wo du da hinkommst.

Steiner

Zwiebelbad hab ich überhaupt noch nie gehört. Heiße Bäder schon, das erzählen die Frauen, dass sie ganz heiße Sitzbäder ...

Haidler

Und da haben sie ganz viel Zwiebel hineingeschnitten. Und wenn dieser Zwiebel ... hat es manchmal gefruchtet. Nur wenn es stark sitzt, fruchtet sowieso nichts.

Steiner

Die Gefahr bei den Stricknadeln war die Perforation, dass man nicht durchkommt.

Haidler

Na klar, du hast irgendwo in einen Darm oder wo hinein, und dann bist du verblutet, wenn du nicht gleich dann zu einem Arzt gegangen bist. Darum haben sie Engelmacherin ... Aber die haben ja wenigstens den Kanal gewusst, wo sie hinein, aber selber? Ja.

Steiner

Es war ein Arzt, der eine Kürettage gemacht hat?

Haidler

Es war ein total guter Gynäkologe, meiner Meinung nach, der halt Frauen geholfen hat und Geld gekriegt hat, aber auch gewusst hat, wenn ihn die Frauen verraten oder wenn ihm eine Frau eine Falle stellt, dann geht er ins Gefängnis.

Steiner

Wie groß war da die Angst vor der Strafverfolgung von Ihrer Seite?

Haidler

Überhaupt nicht, nur ich bin sicher kein Maßstab, denn ich hab eben noch nie vor wem Angst gehabt. Jetzt wüsste ich schon überhaupt nicht, vor wem ich Angst haben sollte, vielleicht vor einem Trottel wie Putin oder sonst wem.

Steiner

Ich hab auch eine Interviewpartnerin gehabt, die war 80 und hat sich auch gemeldet, die hat am Vorabend zu ihrem Mann gesagt: Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll, aber strafen können sie mich nachträglich eh nicht mehr. Das war wirklich beeindruckend, dass ihr der Gedanke überhaupt gekommen ist.

Haidler

Ja, dann hat sie sich eben damals schon gefürchtet, dass ihr wer draufkommt. Ich hab mich damit gar nicht beschäftigt, ich hab mich beschäftigt, dass ich es auf die Reihe bring, dass die nicht ausfallen, dass die Krankenschwester nicht ausfällt und dass die wirklich um 6 da sind. Meine Angst war, dass die vielleicht nicht kommen, aber mit dem anderen hab ich mich überhaupt nicht beschäftigt.

Steiner

Sie hätten auch gewusst, falls es Komplikationen oder Blutungen gibt, wo Sie hingehen?

Haidler

Wahrscheinlich ins Hanusch-Krankenhaus, das damals noch Rainer-Spital geheißen hat, denn das war immer mein Krankenhaus. Ich hab ja da oben in Breitensee über dem Hanusch-Krankenhaus gewohnt. Aber wahrscheinlich hätte ich nur die Rettung angerufen. Ich hab immer gewusst, ich lebe in einer wunderbaren sozialen Stadt und ich war seit meinem 14. Lebensjahr bei der jungen SPÖ und bei allem. Also ich bin seit ewigen Zeiten rot und ich hab eigentlich immer das Gefühl gehabt, in dieser Stadt kann mir gar nichts passieren, ich bin hier gut aufgehoben. Auch Menschen, Frauen, die jetzt einen Schwangerschaftsabbruch machen wollen, sind in dieser Stadt am besten aufgehoben. Wir sind die einzige Stadt in Österreich, die das in einem Spital macht. Das finde ich überhaupt ganz schlimm: In Vorarlberg gibt es einen Arzt in ganz Vorarlberg.

Steiner

Das war gestern in den Nachrichten.

Haidler

Ja. 72 Jahre, er will in Pension gehen und kann nicht, denn sonst hat er das Gefühl, er verlässt die Frauen. Was sind das für Lulu an Ärzten? Warum wollen die nicht helfen?

Steiner

Ich glaube, sie wollen schon helfen, aber nachdem er gesagt hat, er hat ein Foto auf der Website, auf dem er nicht erkenntlich ist und so weiter, er ist schon bedroht worden ...

Haidler

Ja, aber diese Ärztin hat sich umgebracht wegen der Pandemie, weil die Impfgegner so blöd waren! Das kann wegen allem passieren. Angst macht die Seele krank. Und wenn ich vorher schon immer Angst hab und denke, na, was wird da herauskommen - ich werde auf jeden Fall sterben, ob ich Angst davor habe oder nicht, also beschäftige ich mich auf jeden Fall nicht damit. Das sind Dinge, die verstehe ich nicht. Wir haben ja x-mal Gegendemonstrationen (Anmerkung: von AbtreibungsgegnerInnen) gemacht. Zuerst haben sie uns sowieso Mörderinnen und alles Mögliche geschimpft, das war ja selbstverständlich, dass sie uns da schimpfen. Natürlich war die Dohnal federführend in diesem Kampf, aber wir hätten es nie geschafft ohne sozialdemokratischen Innenminister und wir hätten es nie geschafft ohne den Gynäkologen Rockenschaub, denn er war damals der Einzige in Österreich, der ausgesagt hat, das kann, wenn es ordnungsgemäß in einer Klinik gemacht wird, einer Frau überhaupt nicht schaden. Das ist eine Kürettage und nachher kriegt sie normal ein Kind, so wie sie es will.

Steiner

Ja, das haben mir viele Frauen erzählt, sie haben Angst gehabt, dass durch die Öffnung des Muttermundes die späteren Schwangerschaften einfach schwierig werden.

Haidler

Dann würde keine Frau fünf Kinder kriegen! Bei der Geburt öffnet sich der Muttermund, da kriegt keine Frau fünf Kinder. Wir haben damals nicht die Möglichkeiten gehabt, in Google zu schauen, ins Internet zu schauen, mit irgendwem gescheit darüber zu reden, denn es war damals auch nicht so wie heute, gehst du zu deinem Frauenarzt und fragst ihn oder fragst ihn noch immer etwas, wenn du etwas wissen willst. Das war ja damals nicht so. Meine Mutter ist nach meiner Geburt nie mehr zu einem Frauenarzt gegangen. Es war für die das Furchtbarste, dass der Frauenarzt da herumgetan hat. Das war für mich ganz normal. Was soll denn das? Damals war es ja leider auch noch so, dass die meisten Frauen gesagt haben, ich geh doch nicht zu einer Frauenärztin. Wer weiß, kann die das? Frauen haben damals, die waren so von Männern präpariert, dass sie ihnen nicht alles zugetraut haben. Eine Frau als Schaffnerin, eine Frau als Fahrerin bei den Wiener Linien? - Da steige ich gar nicht ein, da warte ich, bis einer mit einem Mann kommt. Sage ich, warum machen wir uns selber so runter? Wieso glauben wir, dass wir das nicht können? Es war wichtig, dass Feministinnen da sind, obwohl, ich war mein ganzes Leben Feministin und hab gewusst, wenn wir es schaffen, nur mit Männern zusammen. Männer allein sind nichts und Frauen allein sind nichts, das ist eben so. Aber es war eine ganz andere Zeit. Mein Ex-Mann ist tödlich verunglückt, da war ich schon geschieden, aber es war noch nicht selbstverständlich, dass ich die Vormündin meiner Tochter werde. Ich hab das am Bezirksamt erstritten. Ich hab mich dort aufgeführt, wie es sich gehört, und bin es geworden, aber ich hab für sie dort ein Sparbuch anlegen müssen, und die hat zu mir gesagt: Wenn Sie einmal die Tochter auf Schiurlaub schicken wollen, dann kommen Sie halt zu mir und dann bestätige ich, dass Sie etwas von dem Sparbuch abheben dürfen. Sage ich: Ich werde nie zu Ihnen kommen. Sie brauchen mir nie etwas bestätigen, und meine Tochter wird auf jeden Schiurlaub fahren können, auf den sie fahren will. Das Sparbuch können Sie ihr dann auszahlen, wenn sie 18 ist, ich werde zu Ihnen nie kommen, denn ich brauche Sie nicht. Aber das war damals noch so.

Steiner

Wie gesagt, es ist schwer, jemanden zu finden, der überhaupt auch über die Aufklärung in der Zeit redet, über die Sexualität, über die Verhütungsmittel. Es ist wirklich schwierig.

Haidler

Wir haben ja nichts gewusst, wir haben nichts gewusst. Ich hab oben ein uraltes Medizinbuch von meiner Mama noch, wo du den Mann herausklappen hast können. Dann hast du dir da angeschaut, ah, das sind die Hoden, ah, das ist das, aha, der schaut so aus. Jetzt bin ich ohne Vater, ohne Großvater, in einer Weiberfamilie, weil alle entweder gestorben oder im Krieg geblieben sind, aufgewachsen. Da weißt du nichts. Wir haben auch nicht so Doktor gespielt, dass wir uns das angeschaut haben, das eben nicht. Es hat kein Badezimmer gegeben, wo du mit irgendwem gebadet hast oder so. Heute ist das alles selbstverständlich. Ich bin, glaube ich, mit zwölf einmal heimgekommen und hab meiner Mutter ein furchtbar ordinäres Wort gesagt, und die ist in Ohnmacht gefallen. Ich hab gewusst, so etwas darf ich nie mehr sagen, obwohl ich keine Ahnung gehabt hab, warum nicht. Ich glaube da ist die erste Lesbenbuchhandlung im 8. Bezirk aufgekommen, wo ich überhaupt gewusst habe: Ach so, Frauen machen das auch miteinander. Das war ja bis dahin, nur Männer machen das miteinander. Das war für Frauen überhaupt nicht einmal .... Die war in der Lenaugasse und daneben gleich ein Kaffeehaus, du hast dir das Buch nehmen können. Da war ich bei der Eröffnung dort, hab mich einschreiben lassen und war jede Woche einmal nach der Firma eineinhalb, zwei Stunden dort auf einen Kaffee und hab nachgelesen: Was ist das überhaupt? Wie geht das? Wie ist das? Das haben wir überhaupt nicht gewusst. Über so etwas ist überhaupt nie geredet worden, so wie nie darüber geredet worden ist, dass das in der Beziehung passieren kann, dass das auch ein Onkel oder ein Cousin machen könnte. Mir ist nie etwas passiert, und meine Tochter hat erst vor zwei oder drei Jahren, wie das mit Me too und so war, gesagt: Über so etwas hast du nie etwas erzählt. Ist das an dir vorübergegangen? Sag ich: Ja, denn ich hab zwei Hände zum Hinhauen gehabt und einen Mund zum Nein-Sagen. Und wenn ich einmal Nein gesagt hab, hat sich kein Mensch mehr was ... Ist mir Gott sei Dank halt nichts passiert. Aber das war ja alles ganz anders. Jeder hat gesagt, wenn dich wer anredet und will dir ein Zuckerl geben, gehst du nicht mit. Hab ich mir gedacht, wieso soll mir der ein Zuckerl geben. Wie sollst du als Zehnjährige wissen, was Vergewaltigen ist?

Steiner

Das wurde nie benannt?

Haidler

Gar nicht. Warum soll mir der ein Zuckerl geben?

Steiner

Ja, das war so komisch abstrakt. Kann ich mich auch noch erinnern, vor einem Zuckerl ist gewarnt worden.

Haidler

Ja, aber, ich meine ... Frage: Wie alt bist du?

Steiner

Ich bin 54.

Haidler

Aha, wie meine Tochter, die war jetzt gerade 55. Das ist ja schon eine andere Generation, und meine Tochter hat über das alles Bescheid gewusst. Ich habe sie nicht überfordert, aber wenn sie was gefragt hat, hat sie die richtige Antwort gekriegt. Jetzt hab ich erst mit ihr geredet. Sie hat in der Ersten Volksschule eine Freundin gehabt, deren Vater Gynäkologe war. Sie ist heimgekommen und hat gesagt: Die Uschi hat mir erzählt, dass die Kinder, die Babys im Bauch schon sehen können, aber wie sie hineinkommen, weiß ich nicht. Wir haben also immer noch einen Spaß, aber wir haben immer über alles offen gesprochen, und sie hat auch immer gewusst, man braucht sich vor nichts fürchten, die Mutter fürchtet sich auch vor nichts. Das sind halt so Dinge, die dann jemanden prägen.

Steiner

Natürlich. Ich glaube, das Angsthaben kann schon ...

Haidler

Und sie hat immer gewusst, dass sie ein Geschwisterkind hätte, das ich nicht bekommen habe, weil wir nichts gehabt haben. Ich wollte erst ein Kind haben – ich hab ja dann vor ihr sogar noch eine Bauchhöhlenschwangerschaft gehabt und so weiter ... Dass sie das absolute Wunschkind ist und dass ich nur ein Wunschkind haben wollte. Wenn ich den richtigen Mann gehabt hätte, hätte ich noch zwei gekriegt, aber den hab ich nicht. Auch wurscht. Ich habe aber immer mit ihr über alles geredet. (spricht über ihre drei Pflegekinder)

Steiner

Ich mache ja auch lebensgeschichtliche Interviews, und manchmal haben die Leute echt ein hartes Leben, die Eltern sehr früh gestorben. Interessanterweise, wenn man dann sagt, wer war die Rettung, dann sagt jeder: meine Tante oder wen. Es gibt dann immer offenbar doch gute, wie soll ich sagen ...

Haidler

Das gibt es alles in der Stadt, und je älter man wird, weiß man, die Rettung ist man im Prinzip immer selber. Wenn du nicht aufgibst, dann findest du auch wen, der zu dir hilft. Ich hab so liebe Ärzte im Alter kennengelernt, weil ich Gott sei Dank erst im Alter ziemliche Probleme hatte, und habe in Wirklichkeit gar keine Probleme. Gestern war ich bei einem von meinen Lieblingsärzten, und wenn ich dort rausgehe ... Wir waren nachher essen, und dann sitze ich mit meiner Tochter und sage: Na, jeder schimpft über Ärzte. Ist der nicht super? Sie sagt: Ja, der ist ja wirklich so putzig. Du findest dann wen, der dir hilft, aber du musst einmal selber ein bisschen an das und dich glauben.

Steiner

Dass es schon gut ausgehen wird?

Haidler

Ja. Und wenn du etwas für andere machst, werden auch andere etwas für dich machen. Und wenn du selber dich gern hast, kannst du auch etwas für andere machen und wirst dich auch durchwurschteln, auch wenn du vielleicht manchmal sitzt und denkst: Zahlt sich das überhaupt noch aus, und soll ich überhaupt? Aber dann nehm ich mich da hinten und denke mir: Na, bist du schon ganz deppert? Dann geht es wieder.

Steiner

Dann gibt man sich einen Ruck.

Haidler

Ja, aber ich glaube ... Ich hätte zum Beispiel nie mein Kind in eine Klappe oder irgendwo vor eine Kirche gelegt, auch wenn ich mir gedacht hätte, ich kann es nicht ernähren. Irgendwie wäre es schon gegangen. Aber ja, das ist halt eine gute Einstellung. Ich glaube nur, wir haben das, wir, meine Generation ... Wir haben ja Eltern gehabt, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, mit nichts, und trotzdem hat sie mich ernähren können und hat gar nichts gehabt und hat mit mir hamstern fahren müssen und solche Sachen. Ich glaube, das prägt dich auch anders.

Steiner

Ich denke mir das, denn die jungen Leute haben ja jetzt schon große Zukunftsängste. Es ist eine Generation, die aber nie ... Das ist jetzt das erste Mal seit der Pandemie und dem Ukrainekrieg, dass da wirklich etwas nah ...

Haidler

Es hat ihnen aber auch keiner erklärt, dass sie keine Zukunftsängste haben brauchen. Und der Klimawandel vollzieht sich sowieso, ob wir etwas tun oder nicht tun. Was wir jetzt tun mit Nylonsackerl und dem und dem, ist ein Schas im Walde. Ich hab das erst jetzt mit wem besprochen. Sag ich: Na glaubt ihr wirklich -wir haben ja auch den Klimastadtrat im Bezirk -, dass ihr Menschen das Fliegen abgewöhnen könnt? Nie mehr werden Menschen aufhören, zu fliegen! Was ist das Gute an einer Lithiumbatterie, außer dass man denen jetzt schon das Wasser wegnimmt, denen, die leben. Was ist da gut fürs Klima dran? Da wunder ich mich nur, da lassen sich junge Menschen verarschen. Da wundere ich mich nur!

Steiner

Lähmen durch die Angst auch

Haidler

Ja, aber solche Ängste haben wir nicht gehabt. Die Sachen, die wir geglaubt haben, also für mich war zum Beispiel, nach Amerika werde ich nie fliegen können, denn das war für mich wie auf den Mond fliegen. Wie ich zehn Jahre alt war, hab ich mir gedacht, na, nie werde ich nach Amerika fliegen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, da werde ich nie hinfliegen können. Dort haben sie als Erstes jetzt wieder den Abbruch verboten. Ja, da fragst du dich ja! Was ist dort unbegrenzt, außer dass keiner ein Haus mehr hat und in einem Zelt leben muss?

Steiner

Oder im eigenen Auto.

Haidler

Ja, oder weil sie in New Orleans noch immer nicht für die Wassersachen entschädigt haben und versprechen ihnen alles! Dort ist unbegrenzt an Blödheit, aber ansonsten finde ich gar nichts.

Steiner

Die Entscheidung vom Supreme Court war ja dann letztlich wahlentscheidend, dass die Frauen in andere Bundesstaaten fahren müssen, wenn sie einen Abbruch machen wollen.

Haidler

Und jetzt wollen sie in den Bundesländern, wenn die Republikaner kommen, wieder das weg. Wenn der Trump noch einmal antreten darf, dann frage ich mich ja überhaupt, was das für Idioten sind.

Steiner

Insofern ist es schon arg, weil das Thema leider ...

Haidler

Polen, alles Mögliche! Und wenn bei uns die Blauen kommen, ist es in einer Sekunde weg. Wir haben in 50 Jahren ja nicht geschafft, dass es ein Gesetz wird. Na, versteht man das? Und das Allerwichtigste für mich wäre, dass eine starke Sozialdemokratie in die Regierung kommt. Ich weiß nur nicht, wo wir sie hernehmen werden, leider. Das ist für mich das größte Trauerspiel, dass ich mit 30 geglaubt hab, wenn ich 80 bin, werden alle – da sind ja die ganzen Organisationen auf der Welt, UNO, weiß denn ich, was alles – alles regeln. Die gehen nur fressen miteinander, aber regeln tun sie nichts.

Steiner

Das war der Traum mit 30?

Haidler

Ja, da hab ich mir gedacht, wir werden nur gescheiter. Das war für mich ganz klar, wir machen jetzt eine heile Welt, die Welt macht eine heile Welt, wir halten alle zusammen, und wenn ich alt bin, gibt es überhaupt kein Problem mehr. Aber ich muss jetzt dazu sage, auch die Dohnal und wir haben beim ersten Frauenhaus geträumt, wir brauchen kein zweites. Und jetzt haben wir fünf und bräuchten noch fünf. Es ist nichts besser geworden, sondern ich sehe alles, was raufgegangen ist, wieder runtergehen.

Steiner

Und von gleichem Lohn für gleiche Arbeit sind wir auch noch entfernt.

Haidler

Und die Jungen, 24 aufwärts, glauben ja eh, es ist alles leiwand. Die haben keinen Kampfgeist. Die haben auch keine Träume, das müssen wir verwirklichen oder das oder das. Es ist eh alles gut, es ist eh alles in Ordnung. Das macht mich narrisch oder traurig. Da denke ich mir, hat sich das überhaupt alles ausgezahlt, dass wir das alles runtergewurschtelt haben, auf die Straße gegangen sind, als Mörderinnen beschimpft wurden. Wie oft wir am Fleischmarkt dann demonstriert haben, damit sie die Frauen hinein lassen und die Betschwestern weg sind, die ihnen noch, bevor sie reingegangen sind, gesagt haben: Ihr mordet! Das dürft ihr nicht tun. Der liebe Gott wird euch das und das machen. Und wozu? Es hat sich gar nichts gebessert. Jetzt haben wir noch dazu so viele Migrantinnen da, die ein Kind nach dem anderen kriegen, weil sie sich gar nicht abtreiben trauen oder eine Spirale. Ich tät von der Volkshilfe die Spirale zahlen. Zweimal hat sich wer darum beworben. Manchmal denke ich mir, es war alles fürn Hugo, umsonst will ich gar nicht sagen. Für nix!
(spricht kurz über ihr Engagement in der Volkshilfe)

Haidler

Wir haben jetzt viel geredet, aber nicht über das Thema. Stell mir noch Fragen, die du mir stellen möchtest.

Steiner

Ich schau jetzt noch einmal den Interviewleitfaden durch, ob wir alles haben, aber ich glaube, du hast eh im Erzählen ... An wen haben Sie sich zuerst gewandt? An die Mutter? An verschiedene Personen?

Haidler

Nein, das hat meine Mama gemacht.

Steiner

Kannten Sie damals Leute, die auch einen Eingriff durchführen haben lassen?

Haidler

Nein, damals nicht, denn damals hat niemand darüber gesprochen.

Steiner

Und die damalige Lebenssituation? Sie haben bei der Mutter gewohnt?

Haidler

Ja.

Steiner

Keine eigene Wohnung gehabt?

Haidler

Damals hat niemand mit 17, 18 eine eigene Wohnung gehabt.

Steiner

Wie lange es gedauert hat, bis die Möglichkeit für den Abbruch gefunden war?

Haidler

Na ja, drei, vier Wochen.

Steiner

Gekostet 2.000 Schilling.

Haidler

Ja.

Steiner

Finanzierung haben Sie auch schon gesagt. Was war am Schwierigsten, Bedrohlichsten, Unangenehmsten?

Haidler

Dass es nicht klappt, denn dann wäre keine andere Möglichkeit mehr gewesen, denn je länger es gedauert hat, je weniger hast du dann jemand gefunden, der es gemacht hat. Ja, es war ganz einfach halt eine unangenehme Sache.

Steiner

Und sie haben mit Ihrem späteren Mann natürlich schon auch darüber gesprochen?

Haidler

Ja natürlich, ja.

Steiner

Ach ja, das wollte ich fragen, das erzählt mir immer meine Mutter, denn die war auch in den Fünfzigerjahren in Wien.

Haidler

Von wo kommen Sie eigentlich?

Steiner

Ich bin in Tirol aufgewachsen.

Haidler

Im heiligen Land.

Steiner

Ja, genau. Meine Mutter ist aber eigentlich eine Wienerin und hat gesagt, die große Angst war, dass eine Kartei auffliegt, dass bei einem Arzt sozusagen in der Kartei Vermerke drinnen sind und dass man dann nachträglich angeklagt wird. War das ...

Haidler

Nein.

Steiner

Das war keine Angst?

Haidler

Nein, ich war auch überzeugt, dass kein Arzt eine Kartei hat. Die wäre sein Schaden gewesen, meiner erst in zweiter Person.

Steiner

Angstfrei?

Haidler

Ja. Das kling so deppert, aber es war so. Wenn ich nicht einmal seinen Namen weiß: Wieso sollte der von mir eine Karteikarte anlegen?

Steiner

Es gab ja auch Ärzte, die das in der Ordination gemacht haben.

Haidler

Ja, aber da hätte ich ihm vertraut, dass er es so gescheit macht, dass der Abbruch sein müsste, denn was wäre, wenn ich schon mit Blutungen in die Ordination hingekommen wäre. Ich hab auch mit allen Leuten, mit denen ich geredet hab ... Ich war dann ein paar Jahre danach mit einer Freundin, da war es auch noch verboten, aber schon viel leichter. Da haben wir es bei einem Arzt am Südtiroler Platz, in einer Ordination hat er ihr es gemacht, sogar mit ein bisschen sedieren. Ich habe am Gang gewartet, also ich durfte nicht mit in die Ordination kommen. Sie ist ganz benebelt rausgekommen, wir sind mit dem Taxi nach Hause gefahren. Da ist sie wahrscheinlich in der Kartei gestanden, aber darüber haben wir gar nicht nachgedacht. Ich bin überzeugt, das kann ein Arzt beweisen, dass die schon so gekommen ist, dass er es machen hat müssen. Von solchen Sachen war ich immer überzeugt, wenn das einer macht, macht er es gescheit.

Steiner

Ja, das ist eine gesunde Lebenseinstellung eigentlich, dass man nicht immer denkt, was könnte sein, was könnte sein.

Haidler

Das was sein kann, kommt eh von selber. Mit dem beschäftige ich mich dann, wenn es da ist. Das hab ich auch mit allen meinen Wehwehchen, die ich gehabt hab, so gemacht. Ja, wird schon gutgehen, und wenn es nicht gutgeht ...

Steiner

Kann man auch nichts machen.

Haidler

Ich hab jetzt zu meiner Tochter gesagt, weil ich eben im September eine zweite schwere Operation gehabt hab, und sie hat mich hingeführt: Mach dir keine Sorgen, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Ich komm gesund heim oder ich stirb. Und wenn ich stirb, denkst du dir, die Alte hat gut gelebt. Was soll sein? Ich bin eh gut heimgekommen.

Steiner

Alles gutgegangen. Dann bedanke ich mich für das Gespräch.

Haidler

Bitte, aber jederzeit, wenn irdendwas ist. Ich mag nur nicht über verschiedene Menschen reden.

Steiner

Ja, das ist ja auch verständlich, muss man ja auch nicht.

Haidler

Für mich war wirklich die Größte die Jochmann, aber da gibt es so viele andere, die Schella Hanzlik. Da gibt es so viel andere.

Steiner

Die Adelheid Popp ist mein Liebling.

Haidler

Das war meiner Mama ihr Liebling.

Steiner

Das Buch, die Jugendjahre einer Arbeiterin, das ist so gut zu lesen.

Haidler

Meine Mama war so eine Gewerkschafterin von den Bau- und Holzarbeitern und so weiter. Die Wilhelmine Moik, da gibt es so viele gestandene Namen, die so viel erreicht haben, über das niemand redet, die eigentlich für uns den roten Teppich gemacht haben, dass wir überhaupt auf dem gehen können, über die niemand redet.