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Interview mit Erika T. am 20. September 2022 im Kreisky-Archiv.
Transkript Maria Steiner.

Erika T. sprach zu Beginn des Interviews über ihre Arbeit als Psychologin und Erziehungsberaterin in Kindergärten und ihre Karenzzeit Anfang der 1980er Jahre, bevor sie über die gesellschaftlichen Veränderungen und ihren Schwangerschaftsabbruch als Studentin erzählte. Das Interview wurde anonymisiert und gekürzt.

Erika T.

Und dann war ich vier Jahre mit meinen beiden Kindern ununterbrochen zuhause, 24 Stunden am Tag, das waren die härtesten, die anstrengendsten Jahre meines Lebens, das habe ich aber nur meinen besten Freundinnen gesagt [lacht]. Das waren die schlimmsten Jahre meines Lebens. Und das als Psychologin! Mir ist das nicht so wirklich gut bekommen mit den Kindern zuhause. Mein damaliger Mann, ja der ist um 6 Uhr in die Klinik gegangen und um 20 Uhr nachhause gekommen, der hat die Kinder überhaupt nicht gesehen. Das war aber damals nicht so, dass man sich darüber aufgeregt hat, das war quasi normal, wenn ein Mann Karriere macht, na? Ich war die erste Generation, die das Pech gehabt hat selber schon einen Beruf haben zu dürfen, zu studieren und trotzdem die ganze Arbeit machen. Das habe ich schon blöd gefunden, dass man einerseits studiert und den Job macht und andererseits die Männer nach wie vor so sind, dass sie sagen: “Und wo ist bitte hier die Küche?“

Steiner

Darf ich fragen: Wie war Ihre Sozialisation?

Erika T.

Ja, also ich bin in einem Unternehmerhaushalt groß geworden und dadurch nicht so in der roten Reichshälfte sozialisiert. Mein Vater hat Spritzformen entwickelt und Kosmetikdoserln produziert. Meine Mutter ist sehr früh gestorben, da war ich sieben Jahre alt. Sie hat Brustkrebs gehabt. Mit fünfeinhalb Jahren bin ich deshalb ins Lycée gekommen, meine Mutter war damals schon krank und dort im Lycée war Unterricht von 8:30 bis 16 Uhr. Meine Mutter war schon 40 bei meiner Geburt. Sie hat natürlich nicht im Traum daran gedacht, sich ein Kind anzutun, aber dann ist sie mit 40 schwanger geworden, das war ein Pech. Und mein Vater war viel zu alt, der war 63, als ich auf die Welt gekommen bin. Er hat nach dem Tod meiner Mutter noch einmal geheiratet, meine Stiefmutter konnte ich nicht leiden, das war auch ein blödes Alter, ja. Und als ich 14 war, ist auch mein Vater gestorben.

Erika T.

Mein Vater hat Schulden hinterlassen, die ich mitgeerbt habe…ich war 14, ich musste von etwas leben. Ein bissl was war dann doch da. Von dem Geld konnte ich dann bis zur Matura überleben. Mein Studium habe ich mir dann selber finanziert, da war ich schon tüchtig, muss ich sagen. Auch, um es meiner Stiefmutter zu beweisen. Mein älterer Halbbruder, der hat Pech gehabt, der musste sein Studium aufgeben, weil seine Freundin schwanger geworden ist. Mein Vater hat gesagt: „Wenn du ein Mädel schwängerst, musst du sie heiraten.“ Der war ein bissl neidig, dass ich studiert hab und auch fertig studiert hab. Der erste Kommentar meiner Stiefmutter, als ich gesagt habe ich gehe studieren war: „Jaja, Mädel gehen auf die Uni, um sich einen Mann zu angeln.“ Ich habe mir gedacht blöde Gurken. Ich hab schon lang studiert, bis ich fertig war, war ich 26, mit Dissertation, mit allem drum und dran.

Steiner

Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Können Sie mir was dazu erzählen?

Erika T.

Also ich habe mein Studium sehr genossen. Ich hab 1965 maturiert, ich habe die 1968er Jahre erlebt. Ich hab gar nicht so ehrlich viel mitgekriegt, außer Unterschriftenlisten gegen den Vietnamkrieg. Und dann bin ich wirklich zufällig in den Hörsaal 1 gekommen wie die Uniferkelei war! Ich bin da einfach hineingegangen, neugierig war ich schon immer, und da war ich einfach baff. Ich hab mir gedacht das kann ja nicht wahr sein, was ist denn das? Und dann ist glaube ich die Polizei gekommen, ja, das war schon beeindruckend für mich als braves Mädel….

Steiner

Haben Sie damals gesellschaftlich einen neuen Wind gespürt, auch was die Frauenbewegung angeht?

Erika T.

Ja, natürlich, die Dohnal, die hab ich sehr wahrgenommen.

Steiner

Die ist aber erst später gekommen, die ist 1979 Staatssekretärin [für allgemeine Frauenfragen] geworden.

Erika T.

Ich bin ja auch sehr dafür eingetreten, dass den Frauen die Karenzzeiten angerechnet werden sollen. Ja, es hat sie im Vergleich zu heute schon sehr viel verändert. Das war mir schon bewusst. Wenn man das bedenkt, das mit der Fristenlösung und jetzt nach Amerika schaut, ein Wahnsinn…

Steiner

Was können Sie mir dazu erzählen?

Erika T.

Ja, ich bin noch nach London gefahren, das war irre. Undenkbar. London war die Ausweiche. Es war Ungarn möglich, da war eine, die hat gesagt, sie organisiert mir das, und dann hat sie einen Rückzieher gemacht und hat gesagt, nein, sie kann das doch nicht. Und dann vergeht wieder wertvolle Zeit… und dann bin ich mir scheint – verrückt, weil ich hab damals ja studiert wie ich schwanger war. Das war eine Katastrophe, ich hab ja gewusst ich muss mir mein Studium finanzieren, wie soll ich da ein Kind? Und der Mann, von dem ich schwanger war, der war zwar nicht ganz unattraktiv, aber der hat dauernd nix gehabt, der konnte nicht umgehen mit Geld, der hat dauernd Schulden gehabt, da war klar, da geht gar nix. Und dann bin ich mit einem guten Freund, der eigentlich immer ein guter Freund nur war, per Autostopp nach London gefahren, weil ich das Geld für die Abtreibung gebraucht hab. Das war viel Geld für mich damals, was das gekostet hat. Und zurück auch wieder per Autostopp, ein Wahnsinn, ein Wahnsinn. Mit dem hab ich mich hingestellt bei der Ausfahrt und dann, ein Stück sind wir mitgenommen worden und dann wieder eines…drei, vier Tage haben wir schon gebraucht, aber es war wurscht, ich hab ja eh studiert damals, obwohl, es war schon höchste Zeit, ich war schon ziemlich fortgeschritten [in der Schwangerschaft] damals, glaub ich, ich weiß es nicht. Naja, das war natürlich hart. Und später dann, wars schon merklich, wo man durfte.

Steiner

Ab 1975 war es straffrei, die Fristenlösung. Können Sie mir erzählen, wie damals die Stimmung war in der Gesellschaft?

Erika T.

Ja, na freilich war ich dafür, ich wüsste kein junges Mädel das gesagt hätte wir wollen das verboten haben… niemand, so katholisch war man dann auch wieder nicht, also ich nicht. Naja, irgendwelche Uralt-Tanten waren dagegen. Ich bin ja auch als ungeplantes Kind auf die Welt gekommen. Als ich jung war, hat es ja keine Pille gegeben, gar nix! Die ist dann erst gekommen und da war man dann am Anfang natürlich vorsichtig, die waren ja hochdosiert diese Pillen, wie tut man, man ja gar nix gewusst, und dann hab ich auch die Pille genommen. Ja, da hat sich enorm viel verändert, wenn man überlegt, wann die Frauen erst wählen durften, bei uns, und in der Schweiz [lacht] irre und wie ich jung war, war es noch so, ich musste dem Mann nachfolgen, wenn der beruflich wo anders hinging, da hat man nicht sagen können, ja, aber ich arbeite hier, ich bleib da. Und es waren ja auch so absurde Dinge, der Vater hat den Reisepass [der Kinder] unterschreiben müssen, dabei ist der Vater immer ungewiss! Die Mutter war gewiss! Es hat ja auch viele Kuckuckskinder gegeben damals, aber der Vater hat den Reisepass unterschreiben müssen! Die Phase, wo Männer so dominant waren und wo uns Frauen schon klar war: „Na hallo, da stimmt ja vieles nicht!“, das war schon eine blöde Zeit. Da waren wir sehr froh, wie dann der Kreisky gekommen ist und da allerlei Ideen hatte, aber es hat schon gedauert, bis das dann wirklich…mit der Dohnal ist dann glaub ich schneller was weitergegangen.

Steiner

Ich möchte noch einmal auf Ihre Abtreibung in London zurückkommen. Haben Sie Angst vor Strafverfolgung gehabt?

Erika T.

Nein, Angst vor Strafverfolgung hab ich nimmermehr gehabt. Es war so bestimmend für das Leben, wenn ich denke, ich hab ja studiert damals, ein Kind…die Ärzte haben es einfach nicht gemacht, ich erinnere mich, ich war bei zig Ärzten damals, natürlich nur privat ordinierende, und die haben mich nett empfangen und geplaudert mit mir und wenn ich gesagt habe, warum ich komme war ich schon wieder draußen aus der Ordination, also da war nix zu machen.

Steiner

Und deswegen der Weg ins Ausland.

Erika T.

Ja, zuerst hab ich, wie gesagt, zuerst hab ich Ungarn probiert und wie das nicht geklappt hat, London, da hat man genau gewusst, wo man hin muss. Das war eine kleine Privatklinik, da wusste man, da wird man medizinisch gut versorgt mit Narkose und allem. Man musste einmal übernachten, ich bin als letzte drangekommen, warum weiss ich nicht, ich glaube ich war schon am Ende des dritten Monats, also schon fortgeschritten…also es war medizinisch in Ordnung… zu einer Engelmacherin hätte ich mich nicht traut, da hätte ich viel zuviel Angst gehabt, da hätte ich eher noch das Kind bekommen. Ja, da ist furchtbar viel passiert. Ich hab in Wien keinen Arzt getroffen, der das gemacht hätte, obwohl die wollten wissen, ob der Mann das Kind haben will und ich in meiner Naivität sagte: „Ja, der will das Kind.“ Das war natürlich ausgesprochen dumm von mir, wenn ich gesagt hätte nein, dann… die haben wahrscheinlich Angst gehabt, dass sie erpressbar sind. Aber ich hab mit niemandem darüber reden können, nicht, meine Eltern waren nicht mehr, ich habe niemanden gehabt damals.

Steiner

Vielen Dank für das Gespräch und für Ihre Offenheit!