Vor der Fristenregelung > Interviews mit Zeitzeuginnen > Erika S.Erika S. wurde im März 1924 in Feffernitz/Kärnten geboren und wuchs in Klagenfurt und Leoben auf. Anfangs war sie als Hausgehilfin und Kindermädchen tätig, später besuchte sie die Handelsschule und arbeitete im Büro; nach dem Zweiten Weltkrieg war sie bei der Arbeitsmarkverwaltung in Klagenfurt tätig, zuletzt ab Mitte der 1970er Jahre als Referentin für Frauenfragen. Sie schrieb diesen Erinnerungstext für die Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Mag. Günter Müller hat ihn freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Erika S.: Zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Zwischen Hoffen und Bangen.Nach langem Überlegen bin ich zu dem Entschluß gekommen, dieses Thema von meiner persönlichen Erfahrung und Ansicht aus, zu bearbeiten. In meiner Jugend befaßte ich mich mit diesem Thema kaum und es ist mir von seiten meiner Freundinnen auch nicht bekannt, daß eine von ihnen schwanger geworden wäre, außer, sie war bereits verlobt, und wollte ohnehin heiraten. Das soll nicht heißen, daß ich nie verliebt war. Ganz im Gegenteil. Mein Jugendfreund und ich waren schon mit fünfzehn Jahren sehr verliebt ineinander. Wir nützten jede Gelegenheit für eine Zweisamkeit. Hatten aber keine sexuellen Beziehungen. Davor hatte man in diesem Alter Angst. Und auch ein großes Schamgefühl. Vor dem siebzehnten oder achtzehnten Lebensjahr „tat man das nicht“. Später, als ich verlobt war, war auch ich ab und zu froh, wenn sich die Regel nach einer Verzögerung wieder einstellte. Grund für dieses Bangen war die Angst vor einer Schwangerschaft. Denn in dieser schweren Zeit, wo man nicht wußte, wann der Vater dieses zu erwartenden Kindes wieder an die Front muß, ob er am Leben bleibt oder was sonst passiert – wenn man all das bedachte, hütete man sich sehr, schwanger zu werden.
Ein Schwangerschaftsabbruch war während der Nazizeit noch problematischer als sonst. Deshalb war daran überhaupt nicht zu denken. Die Strafen, die damals auf diese Tat standen, waren noch viel härter als nach dieser Ära. Hitler brauchte Kinder, Frauen mußten gebären. Eigentlich sollte jede Familie mindestens vier Kinder haben. Das Rechenexempel war der Art: Zwei Kinder waren Ersatz für die Eltern, erst bei vier Kindern gab es nach dem Tod der Eltern um zwei Menschen mehr. Ein Jahr nach Kriegsende habe ich geheiratet. Der Grund für diese Eheschließung war in erster Linie die Tatsache, daß ich schwanger war. Eines Tages war es so weit. Die Regel war überfällig, die ersten Anzeichen traten auf, ständig war mir übel. Dann die Bestätigung vom Arzt, ich war schwanger. Nun teilte ich dies meinem Partner mit. Seine Freude hielt sich in Grenzen. Die erste Aussage war, „ich will dich ja wohl heiraten, aber jetzt, wir haben ja noch nichts, es gibt so wenig zu essen“ und so weiter. Da dachte mir, no ja, kriegst dein Kind halt allein. Ich hatte mich mit dem Umstand rasch abgefunden. Doch nach ein paar Tagen war er bereit mit meinen Eltern zu reden und mich zu ehelichen. Ich habe mich sehr auf mein Kind gefreut. Obwohl es zu dieser Zeit noch an allem mangelte, war ich überzeugt, daß wir es schaffen. Und so war es auch. Ich bekam einen gesunden Buben, und als er anfing zu laufen, wünschte ich mir ein zweites Kind. Meine Ehe funktionierte damals auch noch recht gut, wir hatten eine Wohnung und mein Mann hatte, weil er Beamter war, ein fixes Einkommen. Ich freute mich auf mein zweites Kind und bekam wieder einen Buben. Wir betrieben Schwangerschaftsverhütung nach herkömmlicher Methode, also „aufpassen“! Kondome hat es nach dem Krieg scheinbar auch nicht gegeben und mit der ganzen Aufpasserei und Verhütung „passierte“ es gar zu leicht. Und so war es dann auch bei mir. Nach ein paar Jahren war es so weit, die Regel blieb aus, das Resultat, ich war schwanger. Die Reaktion von meinem Mann war, in Anbetracht dessen, daß wir bereits mit dem Bau unseres Eigenheimes begonnen hatten, das Geld knapp war, und wir sehr oft Streit hatten, entmutigend. Ich war ziemlich verzweifelt. Mein Arzt bestätigte meine Vermutung, er kannte mich sehr gut und wußte auch, daß es mir nicht gut ging. Ich fragte ihn nach langem Überlegen, ob er mir helfen kann, aber er sagte mir, daß er das grundsätzlich nicht macht, daß er mir aber einen Arzt nennen wird, zu dem ich gehen kann. Abgesehen davon, daß es streng geheim bleiben mußte, war es teuer. Ich stand also eines Tages vor dem Haus, in dem dieser Arzt ordinierte und hatte schreckliche Angst vor dem Unbekannten, das da auf mich zukam. Und, die Angst war nicht umsonst. Unter grauslichen Schmerzen, bei vollem Bewußtsein, ohne Betäubung, erlebte ich meine erste Schwangerschaftsunterbrechung. Der Arzt, ein älterer Herr, sagte mir, er kann mir keine Narkose geben, weil im betäubten Zustand die Blutungsgefahr zu groß sei und damit auch das Risiko, daß jemand davon erfahren könnte. Es war sehr, sehr schlimm. Als die Sache vorüber war, fuhr ich mit dem Autobus allein heim. Da meine Mutter bei uns wohnte, konnte ich mich wenigstens für ein paar Tage schonen. Leider blieb diese Begebenheit kein Einzelfall, ich hatte auf diesem Gebiet während meiner Ehe noch einige Zwangsmaßnahmen zu bewältigen. Es war jedesmal gleich schlimm.
Der Entschluß zu einer Abtreibung war nie leicht. Es kostete jedesmal einen inneren Kampf. Es war nur deshalb leichter sich dazu zu entschließen, weil ich und viele anderen Frauen davon überzeugt waren, daß vor dem dritten Schwangerschaftsmonat kein Leben in dem Eine Bekannte erzählte mir, daß sie sich mit einer Stricknadel selbst von dem Zustand befreite, eine andere bediente sich eines Klistierballen, in den sie Seifenwasser füllte, und so gab es ganz schlimme Arten, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Die Frauen, die dies taten, hatten nicht das Geld, die Unterbrechung, wenn schon geheim, aber doch von einem Arzt durchführen zu lassen, deshalb bezahlten es viele mit ihrem Leben. Es ist ein Glück, daß es zur Fristenlösung gekommen ist und wohl auch, daß die Pille erfunden wurde. Wie ich selbst mit der Pille umgegangen wäre, kann ich nicht sagen, wahrscheinlich hätte ich mich ihrer bedient, obwohl ich glaube, daß sie in gewisser Hinsicht auch ein Gesundheitsrisiko bedeutet.
Wenn sich heute die Kirche und klerikale Gruppen noch immer dagegen aussprechen, kann ich nur sagen, es hat noch kein katholischer Pfarrer ein Kind öffentlich großgezogen.Trotzdem hat mich diese Kampagne zeitweise sehr verunsichert. Es hat Zeiten gegeben, wo ich anfing, daran zu zweifeln daß ich richtig gehandelt habe. Glücklicherweise bin ich ein innerlich gefestigter Mensch, so daß ich zu dem stehen kann, |